Die Verantwortlichen der grossen Kunstschau in Venedig reagierten schnell auf die Ereignisse in der Ukraine. Knapp eine Woche nachdem der Krieg Russlands gegen seinen Nachbarstaat begonnen hatte, liess die Biennale di Venezia offiziell verlautbaren, sie unterstütze die Ukraine. Auf eine russische Repräsentation wolle man verzichten. Und dabei blieb es.
Der russische Pavillon in den Giardini – ein grüner, verschnörkelter Renommierbau – steht still und verschlossen. Durch eines der Fenster kann man leere Paletten und aneinander gelehnte Bretter sehen. Das ist alles.
Die meisten Besucherinnen und Besucher, welche die Biennale vorab besichtigen, gehen achtlos daran vorbei, als wäre der Pavillon gar nicht da. Reges Treiben herrscht dagegen im ukrainischen Pavillon im Arsenale und bei der provisorischen Aussenstation «Piazza Ucraina» in den Giardini. Dort steht eine Installation aus getürmten Sandsäcken, die an den Krieg erinnert.
Wenn es um die Aufmerksamkeit des Kunstbetriebs geht, dann hat die Ukraine Russland klar besiegt.
Rückbesinnung auf alte Kulturen
Nicht nur der Krieg in der Ukraine, auch andere politische Konflikte und gesellschaftliche Debatten spiegeln sich in vielen Beiträgen zur 59. Biennale. Mal mehr, mal weniger explizit.
Das wohl augenfälligste Beispiel: Der Skandinavische Pavillon wurde in diesem Jahr zum Sami-Pavillon umbenannt und wird von den Kunstschaffenden Pauliina Feodoroff, Maret Anne Sara und Anders Sunna bespielt. Die Installation aus Bildern und Objekten aus Naturmaterialien wie Knochen, Federn, Holz, hat etwas Archaisches und beschwört Naturverbundenheit.
Ein verschwunden geglaubtes Volk in Chile
Vom engen Zusammenleben von Mensch und Natur handelt auch die Bild-Installation im chilenischen Pavillon. Ein Kunst-Team bestehend aus Ariel Bustamante, Carla Macchiavello, Domingo Sotomayor und Alfredo Thiermann hat in Kooperation mit Naturschützern Lebensweisen und Kultur der Selk’nam dokumentiert.
Die Selk’nam sind ein indigenes Volk, das in den Moorlandschaften Patagoniens lebte und lange als ausgestorben galt. Doch in den letzten Jahren entdecken manche naturbewussten junge Chileninnen und Chilenen die Kultur der Selk’nam neu. Davon zeugt auch die Ausstellung im chilenischen Pavillon, der bereits 2021 an der Architektur-Biennale zu sehen war
Sozialkritik durch die VR-Brille
Von einer Minderheit, die von der Mehrheitsgesellschaft an den Rand gedrängt wird, handelt die technisch interessante Installation im griechischen Pavillon. Loukia Alavanou lässt die Besucherinnen und Besucher per VR-Brille mit König Ödipus in eine Barackensiedlung der Roma am Rand von Athen reisen.
Antikes Drama und gegenwärtiges Elend mischen sich in der virtuellen Welt auf bewegende Art. Dank VR-Brille ist man mittendrin zwischen Schrotthügeln und ausgeweideten Autos.
Streitbare britische Künstlerin
Bewegend, wenn auch auf eine beschwingtere Art, ist der Beitrag von Sonia Boyce im britischen Pavillon. Boyce hat sich 2018 weit über Grossbritannien hinaus einen Namen als streitbare Frau und Künstlerin gemacht, als sie forderte, in der Manchester Art Gallery das Gemälde «Hylas and the Nymphs» von John William Waterhouse abhängen zu lassen.
Die afro-karibische Künstlerin wollte damit laut eigener Aussage nicht moralisieren, sondern eine Diskussion anregen, wie Museen und Ausstellungen unser Bild von Gesellschaft zementieren.
Diskussionsstoff will sie jetzt auch im britischen Pavillon liefern. Der langen Liste männlicher Künstler, die dort präsentiert wurden, stellt sie ein vibrierendes Mosaik von Musikerinnen-Porträts gegenüber. Videos, Musik und Fotos verbinden sich zu einer vielstimmigen Feier weiblicher Kreativität.
Apero statt Polit-Debatten?
Viele Künstlerinnen und Kuratoren haben offenbar das Bedürfnis, einen ernsten Dialog mit dem Publikum aufzunehmen. Ob das immer so ankommt, wie es gemeint ist? Daran darf zumindest gezweifelt werden – es wird sich ab dem 23. April zeigen, wenn die Biennale für das Publikum öffnet.
Die Biennale di Venezia ist nicht nur ein wichtiges Schaufenster für die Kunst. Sie ist vor allem auch ein Event, bei dem man Spass haben will. Und bei dem der nächste Apero in einer Osteria niemals fern ist.