Was haben der Struwwelpeter, Pinocchio und Barbie gemeinsam? Sie alle sind Figuren, die Erwachsene für Kinder erschaffen haben – und die auf den Vorstellungen der Grossen von Kindheit beruhen. Um genau diese geht es in der aktuellen Ausstellung im Museum Strauhof in Zürich.
Der Gang durch die Ausstellung zeigt, dass die völlig widersprüchlichen Kindheitsbilder in erster Linie Projektionen von Erwachsenen waren. Und so erzählen die Bilder weniger über die Kinder als über die Erwachsenen.
Die Erfindung der Kindheit
Den Ausgangspunkt bildet die Zeit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. Damals etablierte sich die Vorstellung, dass es so etwas wie eine Kindheit gibt, also eine Lebenswelt, die sich von derjenigen der Erwachsenen grundlegend unterscheidet. Vorher galten Kinder, salopp gesagt, als «kleine Erwachsene».
Dies änderte sich etwa mit dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der in den Kindern – in zum Teil verklärender Weise – Wesen zu erkennen glaubte, die in einem ursprünglichen Zustand der Einheit mit der Natur leben würden.
Parallel dazu etablierte sich die konträre Vorstellung, wonach Kinder triebhafte Wesen seien, deren Wildheit durch Erziehung gezähmt werden müsse.
Die Ausstellung zeigt, wie sich diese unterschiedlichen Kindheitsbilder in wissenschaftlichen Texten, Kinderbüchern, Illustrationen, Filmen und Spielzeugen niederschlugen.
Zwischen rosa Idylle und teuflischer Gewalt
Da gibt es etwa heile Barbie-Welten zu bewundern, die das Kind idealisieren. Oder den Struwwelpeter, der aufgrund seines ungezähmten Wesens und seiner Weigerung sich die Haare und Fingernägel zu schneiden, eine Gefahr für die gesittete bürgerliche Gesellschaft darstellt.
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem anarchischen oder gar bösen Kind. Diese Vorstellung erwies sich als kulturhistorisch besonders fruchtbar. Etwa die freche Rotznase Pippi Langstrumpf, die mit ihrem Treiben das totale Chaos in die wohlgeordnete Bürgerlichkeit bringt.
Auch Pinocchio ist anzutreffen, jene Puppe, die lügt, und dem zur Strafe – und zur Abschreckung für alle Nachahmer – eine lange Nase wächst. Oder es sind Ausschnitte aus Horrorfilmen wie «Das Omen» aus den 1970er-Jahren zu sehen, wo das Kind zum Werkzeug des Bösen schlechthin wird.
Und heute?
Die Ausstellung regt dazu an, auch unsere heutigen Vorstellungen zu reflektieren. Sind wir weiter als unsere Vorfahren, wenn wir beispielsweise mit Herbert Grönemeyer glauben, man müsse nur die «Kinder an die Macht» lassen, und dann werde alles gut?
Oder ist es umgekehrt: Trauen wir Erwachsenen Kindern noch immer viel zu wenig zu, wenn wir sie bereits früh dem Leistungsdruck der modernen Gesellschaft aussetzen, in der Meinung, man müsse den Nachwuchs möglichst früh auf die Zukunft trimmen?
Die Ausstellung präsentiert eine enorme Menge an Material und Denkanstössen. Da ist so viel Information, dass man sich gelegentlich etwas verloren fühlt. Hinzu kommt, dass die vielen Texte, die es zu lesen gibt, oft in einer wissenschaftlichen Sprache gehalten sind, was Besucherinnen und Besucher zusätzlich herausfordert.
Insgesamt aber bleibt ein positiver Eindruck: Die Ausstellung ist mit ihren mit viel Liebe zum Detail gestalteten Schaukästen, Videoinstallationen, Audiostationen und Installationen enorm vielseitig. Und überaus lehrreich.