Wer einen Hang zur schlagzeilenträchtigen Vereinfachung hat, könnte sagen: Mit der Ausstellung «Fateful Choices» kehren die geraubten Kunstwerke ins Land der Beraubten zurück.
Bloss entspricht die Realität nicht immer den Schlagzeilen. Die Kuratorin Shlomit Steinberg aus dem Israel Museum in Jerusalem kontert solche Vereinfachungen routiniert mit Fakten.
Schliesslich wurden lange nicht alle Gurlitt-Kunstwerke jüdischen Sammlerinnen und Sammlern geraubt. Die Forschung hat bis anhin nur neun Werke als NS-Raubkunst identifiziert, sechs wurden den Erben der rechtmässigen Besitzer zurückgegeben.
Fokus auf die Kunstwerke
Dennoch ist die Ausstellung von rund 100 Kunstwerken aus dem Konvolut, das Hildebrand Gurlitt zusammenkaufte und -raubte, etwas Besonderes. Denn erstmals werden diese Kunstwerke schlicht als Kunstwerke ausgestellt.
Die Gurlitt-Ausstellungen in Bern, Bonn und Berlin stellten die wechselvolle Geschichte der Kunstwerke ins Zentrum. Sie beleuchteten die Etappen der Entrechtung, Enteignung und Vernichtung jüdischer Bürgerinnen und Bürger im NS-Regime. Sie legten den Fokus auf Hildebrand Gurlitt, auf die brüchige Biografie eines Mannes mit jüdischen Vorfahren, der als Kunsthändler der Nazis Karriere machte.
In Jerusalem gehe es «einzig und allein um wunderbare Kunstwerke», so Kuratorin Shlomit Steinberg.
Kunst, die überlebte
Sie misstraue der verbreiteten Faszination für Hildebrand Gurlitt schon länger, gesteht die Kunsthistorikerin, die in Jerusalem bereits 2008 eine Aufsehen erregende Ausstellung über NS-Raubkunst aus Frankreich kuratierte.
Etwas viel Wichtigeres gehe dadurch vergessen: «Sollten wir uns nicht auf die Kunst konzentrieren statt auf den kleinen, gierigen, ängstlichen Mann voller Widersprüche, der sie zusammentrug?»
Wer diese Kunst in den Blick nimmt, sieht Überlebende. Kunstwerke, die Kriegswirren überstanden und die Hände überlebten, durch die sie gingen. Und die (Achtung: vereinfachende Schlagzeile) das Überleben mit dem Vergessen bezahlten.
Jenseits der Schlagzeilen
Die Kunstwerke aus dem Konvolut Gurlitt verschwanden in einer Münchner Wohnung und einem Haus in Salzburg. Bilder von Cranach, Courbet, Boucher, Cézanne oder Dix galten lange Jahre als vermisst, im Krieg verloren.
«Wir müssen diese Werke wieder als Kunst ansehen und als Kunst rezipieren», sagt Shlomit Steinberg. Es reiche nicht, sie bloss als Opfer ihrer Geschichte zu verstehen.
Diese Kunstwerke wieder in die Kunstgeschichte einzugliedern, das ist der Beitrag der Israelischen Ausstellung der Gurlitt Werke. Eine Premiere, nach einer langen Geschichte voller Schlagzeilen.