Das Wichtigste in Kürze
- Das Kunstmuseum Bern und die Bundeskunsthalle in Bonn zeigen gleichzeitig Werke aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt.
- Das Kunstmuseum Bern bemüht sich stark darum, die Werke in ihrem Kontext als Raubkunst zu zeigen.
- Die interessante und widersprüchliche Person Cornelius Gurlitt wird in der Ausstellung jedoch nicht greifbar.
Am Anfang sind die Schlagzeilen. Schwarz auf Weiss und wild collagiert prangen sie beim Eingang zur Ausstellung. «Der Nazi-Schatz» steht da, oder auch: «Gespräche mit einem Phantom».
Es sind Schlagzeilen aus den letzten vier Jahren. Vier Jahre voller Wirren, Spekulationen und juristischen Auseinandersetzungen um das Erbe von Cornelius Gurlitt.
Eine ordentliche Ausstellung
Nun will das Kunstmuseum Ordnung schaffen, so scheint es. «Bestandsaufnahme» lautet der Obertitel der Ausstellung – ein Titel wie eine Ausladung. Als ob es um einen Verwaltungsakt ginge, nicht um einen Fall, prallvoll mit Geschichten, mit Themen auch, die weit über die Kunst hinaus von Bedeutung sind.
Ordnung also. Im ersten Raum, die Rampe hoch, steht ein Planschrank aus Metall, 15 Schubladen. Zuunterst, handgeschrieben das Etikett: Gurlitt.
In diesem Schrank also bewahrte Cornelius Gurlitt die Papierarbeiten auf, in seiner Münchner Wohnung, so säuberlich beinahe, wie sie hier im Kunstmuseum nun zur Schau gestellt sind.
«Wir betten die Werke ein in ihre Geschichte»
Erstaunlich kleinräumig ist sie geworden, die Berner Ausstellung, gar verwinkelt. Ein Stockwerk im Haus, mehr nicht. Dicht an dicht also.
«Uns war von Anfang an klar, dass es keine rein kunsthistorische Ausstellung sein kann. Und wir haben einen intensiven Dialog geführt: Wie können wir die Zeitgeschichte erzählen, und gleichzeitig die kunsthistorische?», sagt Nina Zimmer, Direktorin des Kunstmuseums und Mitkuratorin der Ausstellung.
«Wir betten die Werke ein in ihre Geschichte, sodass sie nicht ohne den Kontext sind, aus dem sie kommen. Gleichzeitig aber doch auch den Platz haben, um als autonome Kunstwerke eine Wirkung zu entfalten.»
Lust aufs Erzählen
Der Spagat gelingt, besser jedenfalls als im vergangenen Jahr, als das Kunstmuseum eine Schau zur «entarteten Kunst» in der eigenen Sammlung veranstaltete. Die Lust aufs Erzählen ist grösser geworden.
Das beginnt in der «Forschungswerkstatt», die anschaulich vermittelt, womit es Provenienzforscher zu tun haben. Es zeigt sich aber auch im Ausstellungssaal.
«Jedes einzelne Werk ist mit der Provenienzinformation zusammen ausgestellt. Eigentlich sind diese Schildchen das Hauptexponat dieser Ausstellung», sagt Zimmer augenzwinkernd.
Künstler mit besonderer Geschichte
An den Wänden die Werke, nüchtern gehängt in strengem Rhythmus, lauter klingende Namen der Moderne: Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix, Franz Marc, Emil Nolde, auch Käthe Kollwitz ist darunter.
«Wir haben versucht, zu identifizieren, welches die Geschichten von Künstlerinnen und Künstlern sind, die einen besonderen Verfolgungszusammenhang haben – oder eben gerade keinen wie beispielsweise Emil Nolde.»
Erstaunlich geschlossene Sammlung
Trotz klingender Namen: Es ist keine Ausstellung, die fanfarisch auf das grosse «Wow» abzielt. Rund 150 Werke sind zu sehen, die meisten davon auf Papier, filigrane, oft auch kleinformatige Arbeiten.
Sie werfen ein Licht auf den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, seine Passion für die Strömungen der Avantgarde, für den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit. Erlesen, erstaunlich geschlossen wirkt im Museum nun diese Sammlung, die doch eigentlich gar keine Sammlung ist, vielmehr ein Sammelsurium, der Handelsbestand Hildebrand Gurlitts.
«Entartete Kunst» ist auch ein Schweizer Thema
Den grössten Raum allerdings nehmen in dieser Ausstellung nicht die Kunstwerke ein. Es sind die hohen Stellwände in anthrazit, darauf Fotografien in Grau und in Übergrösse: Sie evozieren die Stationen eines Dramas, erzählen von Kunstraub und Rückgabe, von der Diffamierung moderner Kunst, die nicht erst mit den Nationalsozialisten begonnen hat.
Sie zeigen, dass das Thema «entartete Kunst» durchaus nicht nur ein deutsches ist. Auch in der Schweiz und in Bern wurden Künstler wie Paul Klee diffamiert, mit verblüffend ähnlichem Vokabular wie in Deutschland. Das wird in der Ausstellung durchaus aufgegriffen.
Die Bezüge zur Schweiz, zu Bern vor allem, hätten allerdings entschiedener herausgearbeitet werden können. Immerhin war und ist Bern eine Drehscheibe für den Handel mit Werken, die einst von den Nationalsozialisten in deutschen Museen abgehängt wurden.
Unklare Grenze zwischen Täter und Opfer
Dafür zeigt das Kuratorenteam um Nina Zimmer Sinn für die Graubereiche und Ambivalenzen: «Manchmal ist ja nicht so ganz klar, wer hier ist hier schuld, wer ist hier der grosse Nazi, und wer ist sozusagen das einfache Opfer», so Nina Zimmer. «Genau da, wo es sich vermischt, wo es Graustufen gibt, da wird es richtig interessant.»
Richtig interessant wäre auch Hildebrand Gurlitt. Er agierte im Graubereich, vereinte vieles in sich, war Profiteur, Opfer und Retter. Als die Amerikaner nach dem Krieg die «Collection Gurlitt» beschlagnahmten, scheute er auch das Lügen nicht, um «seine» Bilder wieder zurückzuerhalten.
Die Gurlitts werden nicht greifbar
Die Geschichte von Hildebrand Gurlitt und seines Sohnes zu erzählen, auch das haben sich die Berner Ausstellungsmacher vorgenommen. Allein, richtig greifbar werden die beiden nicht.
Geradezu lieblos geht die Ausstellung mit Cornelius Gurlitt um, dem Mann, der dem Museum sein Erbe vermachte. Nur der Grafikschrank aus seiner Wohnung ist zu sehen. Cornelius Gurlitt selbst bleibt ein Phantom.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 3.11.2017, 9.00 Uhr