Um 1890 malte Max Slevogt ein Stillleben mit Ananas. Das Bild hängt seit langem im Bündner Kunstmuseum. Früher gehörte es dem jüdischen Sammler Hugo Simon, so wie andere Bilder in weiteren Schweizer Museen: zum Beispiel ein Kokoschka im Kunsthaus Zürich, ein Abendbild von Carus im Kunstmuseum Basel oder ein Blumenstilleben von Trübner im Kunstmuseum Winterthur.
Hugo Simon war vor 1933 einer der reichsten Männer Berlins, im NS-Regime wurde er verfolgt und beraubt. 1950 starb er verschuldet im Exil in Brasilien. Wenig ist von ihm geblieben, nur seine Bilder hängen noch in Schweizer Museen. Wie sie dahinkamen, ist ein dunkles Kapitel der Schweizer Kunstgeschichte und zeigt, wie Verfolgte des NS-Regimes in der Schweiz ausgenommen wurden.
Bis 1933 war die Geschichte von Hugo Simon die eines Aufstiegs. Er machte in Berlin als Bankier Karriere und politisierte am linken Rand. Nach dem Ersten Weltkrieg war er kurze Zeit preussischer Finanzminister. Simon war bestens vernetzt und dinierte in seiner Villa am Tiergarten mit Albert Einstein oder Thomas Mann.
Die Depots der Museen wuchsen stetig
Der Bankier sammelte auch Kunst: Rund 230 Werke besass er. Das weiss die Berliner Provenienzforscherin Nina Senger, die die Sammlung seit langem erforscht. Darunter waren französische Impressionisten wie Renoir oder Cézanne, Munchs «Schrei» in einer Pastell-Version, moderne Kunst von George Grosz oder Kirchner, aber auch Altmeister wie Caspar David Friedrich.
«Hugo Simon liebte es, Kunst zu sammeln und er war gut darin!», sagt sein Urenkel Rafael Cardoso. Der brasilianische Kunsthistoriker ist nach Berlin gezogen, hat die Geschichte seiner Familie recherchiert und 2016 das Buch «Das Vermächtnis der Seidenraupen» darüber geschrieben. Um an seinen Urgrossvater zu erinnern, hat er ausserdem die Hugo Simon Stiftung gegründet.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 musste Hugo Simon nach Paris fliehen, er war mit seinem politischen Engagement und der jüdischen Herkunft doppelt verfolgt. Einen Teil seiner Kunstsammlung konnte er mitnehmen, einen anderen hinterlegte er als Leihgabe im Kunsthaus Zürich.
Wie andere jüdische Sammler deponierte Simon seine Kunstsammlung als mobilen Vermögenswert in der neutralen Schweiz und entzog sie so dem Zugriff der Nazis. Die Depots der Schweizer Museen wuchsen ab 1933 stetig.
Ein Deal, von dem beide Seiten profitierten
Die verfolgten Sammler fanden in Schweizer Museen einen sicheren Ort für ihre Kunst, die dort auch allfälligen Kaufinteressenten gezeigt werden konnte. Die Museen konnten mit der geliehenen Kunst aufsehenerregende Ausstellungen ausrichten und profitieren von günstigen Ankaufspreisen oder Geschenken.
Ab 1933 kam viel Kunst von geflüchteten Kunstsammlern auf den Markt, die Preise purzelten. Das bekam auch Hugo Simon zu spüren: Er verhandelte mit dem Direktor des Zürcher Kunsthauses über einzelne Bilder. Wilhelm Wartmann hatte wohl Interesse, lehnte aber schliesslich ab.
Deutlich wurde dabei das Kalkül der Akteure in der sicheren Schweiz: Sie rechneten damit, dass die Preise weiter sinken, weil die Not der Flüchtlinge zunahm und sie immer dringender verkaufen mussten.
Kontext der Verfolgung
Hugo Simons Handlungsspielraum nahm ab: 1935 verlor er mit den sogenannten «Nürnberger Rassengesetzen» die Grundrechte, 1937 wurde er ausgebürgert, sein Vermögen fiel ans Deutsche Reich.
«Ihm blieb nur die Kunstsammlung, um an Geld zu kommen», sagt Provenienzforscherin Nina Senger. Und so bemühte sich Simon weiter, Kunstwerke zu verkaufen. Das Kunstmuseum Basel zeigte 1938 Interesse. Damit organisierte sich Simon beim Basler Regierungsrat ein Darlehen von 50’000 Franken, eine Art Vorschuss auf den anstehenden Bilderverkauf.
Gescheiterter Verkauf
Doch auch diesmal klappte es nicht. Das Basler Kunstmuseum argumentierte: Simons Preise seien nicht günstig genug. Damit verschlechterte sich die Situation des Sammlers erneut: Er konnte keine Kunst verkaufen und musste nun auch noch das gewährte Darlehen zurückzahlen.
Nina Senger untersuchte die Preisverhandlungen in Basel und kam in einem kürzlich im Band «Museen in der Verantwortung» publizierten Aufsatz zum Schluss: Die Notlage Simons sei ausgenutzt worden, man habe versucht, die Preise immer weiter zu drücken. Zu diesem Fazit kam 2001 auch der «Bergier-Bericht» der UEK (Unabhängige Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg).
Recht und Moral
Das Kunstmuseum Basel wehrt sich heute auf Anfrage von SRF gegen den Vorwurf: Es habe kein «bewusst schädigendes Handeln auf Kosten des Anbieters» gegeben. Preise für vergleichbare Kunstwerke derselben Künstler würden zeigen, wie deutlich Simons Preise über dem üblichen Wert lagen.
Während also die einen kritisieren, Schweizer Museen hätten auf die Notlage von Flüchtlingen spekuliert, sprechen andere von legitimen Verhandlungsspielräumen. Fest steht: Ein potenzieller Käufer kann es sich vor dem Kauf immer anders überlegen. Fest steht aber auch: Was ein gescheiterter Verkauf für die Flüchtlinge bedeutete, wussten die international bestens vernetzten Schweizer Museumsdirektoren nur zu gut.
Wichtig ist in dem Zusammenhang auch: Die Notlagen von NS-Verfolgten machten an der Schweizer Landesgrenze nicht halt, sie beeinflussten auch Verkaufsverhandlungen in der sicheren Schweiz.
Hugo Simons nächster Versuch
Der verfolgte Sammler sah sich 1939 gezwungen, seine Kunstwerke bei der Galerie Fischer in Luzern zu versteigern. Es lief nicht gut. Immerhin konnte Simon das Basler Darlehen über 50’000 Franken zurückzahlen.
Auktionator Theodor Fischer selbst sicherte sich nach der Versteigerung zwei nicht verkaufte Gemälde von Caspar David Friedrich für 30'000 Franken. Das war schon damals wenig. Heute werden für ein einziges Bild von Caspar David Friedrich bis zu drei Millionen Dollar bezahlt, letztes Jahr wurde eines seiner Skizzenbücher für zwei Millionen Dollar versteigert.
Günstige Gelegenheit oder Abzocke?
Theodor Fischer machte 1939 ein gutes Geschäft und tauschte die beiden Gemälde mit dem Wiener Museum Belvedere gegen Werke von Segantini, die konnte er in der Schweiz gut verkaufen. Es entsteht der Eindruck, Hugo Simon sei damals ausgenommen geworden. Die Galerie Fischer äussert sich auf Nachfrage von SRF nicht zu den damaligen Vorgängen.
Hugo Simon versuchte jedenfalls vergeblich, sich zu wehren. Nach der Auktion gingen Fischer und Simon gerichtlich gegeneinander vor. Doch Simons Klage wurde nicht zugelassen, weil er keinen Vorschuss auf die Gerichtskosten zahlen konnte und 1940 keinen festen Wohnsitz mehr aufweisen konnte.
Der Krieg erhöhte den Druck auf die Verfolgten
Im Mai 1940 war die Wehrmacht in Paris einmarschiert. Hugo Simon hatte keinen festen Wohnsitz, weil er wie tausende andere in den Süden flüchtete und versuchte über Marseille aus dem Land zu kommen.
Das gelang ihm und seiner Frau Gertrud schliesslich: Als Hubert und Garina Studenic gingen sie am 3. März 1941 in Rio de Janeiro von Bord. Und auch die enge Familie schaffte es nach Brasilien: die beiden Töchter, der Schwiegersohn und der Enkel.
Noch kein Ende
Die Bilder, die nach der Versteigerung in Luzern übrig blieben, landeten nach dem Krieg in Schweizer Museumssammlungen. Vom Erlös musste Simon seine Anwaltsrechnungen bezahlen.
Die Geschichte von Hugo Simon und seiner Sammlung ist kompliziert. Sie ist wie jede Geschichte individuell – und dennoch ist der Fall Hugo Simon exemplarisch. Denn er zeigt, wie stark die Verfolgung durch das NS-Regime Kunstverkäufe und Verkaufsversuche von geflüchteten Sammlern ab 1933 prägte.
Obwohl namhafte Schweizer Museen Bilder aus Simons Sammlung besitzen, hat das bisher erst das Bündner Kunstmuseum in Chur kürzlich mit der Ausstellung «eine Freundschaft im Krieg» aufgearbeitet.
Urenkel Rafael Cardoso begrüsst die Aufarbeitung der Vergangenheit. Einige Bilder aus Hugo Simons einstiger Sammlung hat die Familie zurückerhalten. Eine faire und gerechte Lösung zu finden, sei meistens gar nicht so schwierig, sagt der Urenkel von Hugo Simon. Schwierig sei das, was davor passieren müsse: zur Wahrheit zu stehen.