Han van Meegeren galt als verschwiegener Meister. Bis 1945 schuf der Niederländer in seiner geheimen Werkstatt Vermeer-Fälschungen, welche die Kunstwelt begeisterten. Sammler, Museumsleute und Wissenschaftler gingen van Meegeren auf den Leim.
Jahre später war Wolfgang Beltracchi genauso erfolgreich, aber weniger verschwiegen. Er suchte die Öffentlichkeit, publizierte Bücher und war Thema eines Dokumentarfilms. 2011 wurde er wegen Betrugs zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Wie Beltracchi, van Meegeren und weitere Fälscher – es sind übrigens tatsächlich alles Männer – arbeiten, das untersucht Henry Keazor, Kunsthistoriker an der Universität Heidelberg.
Der Junge mit dem Bambi-Blick
Eine der erfolgreichsten Fälscherstrategien: gute Planung. «Fälscher denken voraus», erklärt Keazor vor dem Porträt eines Knaben. Das Bild wurde um 2007 von Christian Goller gemalt und anschliessend mit einer dicken Schmutzschicht überzogen, um es älter aussehen zu lassen. Viel älter.
Goller datierte sein Bild auf das Jahr 1509 und gab vor, es sei vom bedeutenden Renaissance-Maler Lucas Cranach gemalt worden. Der Fälscher trug dabei dick auf, malte dem Knaben treuherzige Bambi-Augen und nutzte grelle Farben, damit sein Bild potenzielle Käuferinnen und Käufer auch durch den «historisch» dunklen Firnis hindurch überzeugte.
Wie die Faust aufs Auge
Fälschungen müssen auf den ersten Blick funktionieren. «Das Kerngeschäft ist die visuelle Überwältigung», erklärt Henry Keazor. Am Institut für europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg untersucht er seit 2021 Fälschungen mit seinen Studierenden.
Ein gefälschtes Bild verführt auf den ersten Blick, ist oft zu schön, um wahr zu sein: spektakuläres Licht, liebliche Ansichten oder eine Oberfläche voller feiner Risse, die als sogenanntes «Craquelée» altmeisterliche Provenienz vorgaukeln.
Leihgaben aus Polizeikellern
Die Heidelberger Fälschungs-Studien-Sammlung (HeFäStuS) versammelt unterdessen über 100 solcher Bilder, alles entlarvte Fälschungen, die der Uni von deutschen Landeskriminalämtern und Privaten zur Forschung überlassen wurden.
Im Falle des gefälschten Cranach kopierte der Fälscher zwei Originale und kombinierte sie neu. Der Kopf entstammt einem Blatt von Cranach aus dem Louvre, der Körper mit dunklem Gewand und spitzem Kragen kommt von einem seiner Humanisten-Porträts.
Beltracchi und der Pigmentfehler
Diese Kombination liess den Fälscher auffliegen, Cranach hätte das so nie gemalt. Der Knabe ist offensichtlich zu jung für das Kleidungsstück eines Gelehrten. Die technologische Untersuchung von Bildträgern und Farben wies das gefälschte Gemälde übrigens als fälschungstechnisch «unbedenklich» aus.
All das, was an Campendonk spröde und anstrengend ist, hat Beltracchi glattgebügelt.
Goller arbeitete diesbezüglich sorgfältiger als Beltracchi. Der flog wegen eines groben Fehlers auf, der im Labor ermittelt wurde: Auf einem seiner Bilder, das angeblich der Expressionist Heinrich Campendonk gemalt hatte, wurde Titandioxid nachgewiesen. Das weisse Pigment konnte Campendonk nicht benutzt haben. Der Stoff wurde erst viel später in der Farbenproduktion eingesetzt.
Zu schön, um wahr zu sein
Beltracchis Fälschungen sind aber nicht nur technologisch auffällig, sie weisen auch stilistische Unstimmigkeiten auf. Auch wenn der Fälscher vollmundig behauptete, er habe mit seinen Arbeiten nur die Lücken gefüllt und sozusagen die fehlenden Bilder in der Entwicklung grosser Künstler rekonstruiert.
Tatsächlich sind Beltracchis Fälschungen zu gut, um wahr zu sein. «All das, was an Campendonk spröde und anstrengend ist, hat Beltracchi glattgebügelt», sagt Kunsthistoriker Henry Keazor.
Beltracchis Bild wirkt im Gegensatz zum echten Campendonk ordentlich. Denn der Fälscher lenkt den Blick der Betrachter und verleiht seinem Bild mit warmem Rot ein Zentrum. Zudem umrandet er alle Objekte mit dunklen Linien. Bei Campendonk fehlen die Umrisse. Er strukturiert Figuren nur durch Farbkontraste, ein Zentrum fehlt. Der Blick muss sich seinen Weg selbst suchen.
Nah an der Kundschaft
Die Fälschung ist also nicht die Rekonstruktion eines Bildes, das Campendonk nie gemalt hat, das er aber hätte malen können, wie es Beltracchi selbst gerne behauptete. Die Fälschung ist eine gefällige Variante, stärker in der Tradition verhaftet als das Original.
Kein Wunder, kamen diese Fälschungen auf dem Markt an: Beltracchi erfüllte damit die Wünsche seines Publikums. Moderne ja gerne, aber bitte nicht zu sehr.
Vornehme Absichten vs. handfeste Interessen
Dass Beltracchi mit seinen Fälschungen den Kunstbetrieb vorführte, in dem alle Beteiligten gerne von neu entdeckten Originalen profitieren, verhalf ihm zu enormer Popularität. Allerdings ist die Strategie, eigene Fälschungen als «Hoax» auszugeben, vermutlich so alt wie das Fälschungsbusiness selbst.
Es wimmelt nur so vor edlen Fälschern, die den verlogenen Kunstbetrieb entlarven, tatsächlich aber mit Betrug gerne gutes Geld verdienen.
Wie viele von Beltracchis Fälschungen heute noch im Umlauf sind, ist unklar. Für 14 wurde er verurteilt, verkündete aber noch während des Verfahrens, es gebe noch mehr Werke von ihm in Museen. Erst kürzlich tauchte eine weitere seiner Campendonk-Fälschungen im Museum of Art im japanischen Koji auf.
Vermutlich kein Einzelfall: «Wir können davon ausgehen, dass einige bereits entlarvte Fälschungen weiter in öffentlichen Museen hängen», sagt Henry Keazor, der auf Fälschungen spezialisierte Kunsthistoriker. Sie seien vergessen oder über unwissende Erben erneut als Original in Umlauf gebracht worden.
Forschung zu historischen Fälschungen
Keazors neues Forschungsprojekt «Fälschungen und Netzwerke» ist eben am Institut für europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz angelaufen. Es geht dabei um historische Fälschungen, ihre Aufdeckung und die Netzwerke dahinter.
Bereits im 19. Jahrhundert warnten und schützten sich Museumsdirektoren aus Aachen, Basel, Berlin, Prag oder Zürich vor Fälschungen. Sie organisierten sich im «Internationalen Verband von Museumsbeamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren» und gaben eine Zeitschrift heraus, die über neue Fälle und involvierte Personen berichtete.
Tatsächlich hatten die Herren Direktoren die Nase im Wind und entlarvten van Meegeren und einen falschen Vermeer ein Jahr vor seinem ersten grossen Coup. Den Erfolg des Meisterfälschers konnten sie trotzdem nicht verhindern. Die falschen Vermeers erfüllten die Wünsche des Publikums zu gut.
Herauszufinden, wo sich die historischen Fälschungen aus den «Mittheilungen des Museen-Verbandes» heute befinden, ist eines der Ziele von Keazors Forschungsprojekt. Es geht darin aber auch um die Wünsche des Kunstpublikums. Ihnen entsprechen erfolgreiche Fälschungen nämlich jeweils sehr genau. Insofern bekommt jede Zeit die Fälschungen, die sie verdient.