Man könnte es auch «Pop Art» nennen, was Pipilotti Rist da im Monumentalformat vor die Bühne der Wiener Staatsoper gewuchtet hat: Eine violett-blau-grüne Staumauer stemmt sich einem pinken Gebirgsstausee entgegen, im Bildvordergrund, scheinbar nicht zum knallbunten Landschaftsmotiv passend, schwebt ein mysteriöses, graues Gebilde, halb durchsichtig, halb mit eigenartigen Wucherungen ausgefüllt.
«Was soll das darstellen?», wird sich manch ein Opernfan im Zuschauerraum der Wiener Staatsoper fragen.
Pipilotti Rist klärt auf: «Ich habe das Magnetresonanzbild eines menschlichen Magens in die Landschaftsszene eingearbeitet. Man sieht die Wirbelsäule, man sieht die Gedärme, man könnte die graue Struktur im Zentrum des Bilds auch für einen menschlichen Kopf halten, der vor der Staumauer dahinschwebt.»
Fröhlich und bizarr – und in guter Gesellschaft
Das alles ist insgesamt doch recht eigenartig. Pipilotti Rist ist für ihren Humor und ihren schrägen Blick auf die Surrealitäten der Welt bekannt. Insofern fügt sich der «Eiserne Vorhang», den sie für die Wiener Staatsoper entworfen hat, fugenlos in die fröhlichen Bizarrerien ein, aus denen sich ihr Œuvre zusammensetzt.
Den «Eisernen Vorhang» des Wiener Opernhauses designen zu dürfen, ist eine besondere Ehre. In den letzten Jahrzehnten haben Künstlerinnen und Künstler wie Maria Lassnig, Jeff Koons, Cy Twombly und Anselm Kiefer die 176 Quadratmeter grosse Brandschutzvorrichtung, die Publikumsbereich und Bühne trennt, gestaltet.
Kunst überschreibt Peinlichkeit
Warum aber wird der Eiserne Vorhang in Wien Jahr für Jahr neu fassioniert? Das hängt mit einer Peinlichkeit zusammen, die sich die Wiener Kulturpolitik in den Nachkriegsjahren geleistet hat.
Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sollte die Staatsoper so rasch wie möglich wiederaufgebaut werden; die österreichische Kulturbürokratie beauftragte den Wiener Künstler Rudolf Hermann Eisenmenger mit der Ausgestaltung des Eisernen Vorhangs. Als die Staatsoper im November 1955 feierlich wiedereröffnet wurde, schien sich niemand daran zu stören, dass Eisenmenger, NSDAP-Mitglied seit Februar 1933 und völkischer Burschenschafter, politisch mehr als belastet war.
Erst in den späten 1990er-Jahren entschloss man sich, den schwülstig antikisierenden Entwurf des Hitler-Verehrers, der auf der «Gottbegnadeten-Liste» der Nazis stand, durch künstlerische «Überschreibungen» kritisch zu kontextualisieren.
Pipilotti Rist in Wien: Klimt und Konditoreien
Da kommt Pipilotti Rist ins Spiel. Zur Welt der Oper habe sie keinen besonders starken Bezug, räumt die Künstlerin ein. Aber Wien, die Stadt Klimts und des «Wiener Aktionismus», nimmt doch einen gewissen Stellenwert in ihrer Biographie ein, hat Pipilotti Rist doch in den 1980er-Jahren in der österreichischen Hauptstadt Kunst studiert. «Damals war Wien noch ziemlich verkrustet», erinnert sich die 62-Jährige. «Die Stadt lag am Rande des Kontinents, direkt am Eisernen Vorhang.»
Zugleich hat die aus dem St. Gallischen stammende Künstlerin die Donaumetropole schon damals als «grösste Konditorei» Europas erlebt. Und daran hat sich bis heute wenig geändert: Die österreichische Metropole pflegt ihr Mozart- und Marzipantorten-Image bis heute hingebungsvoll.
Insofern fügt sich Pipilotti Rists konditoreifarbener Entwurf hervorragend ins Gesamtdesign der «Zuckergoscherl-Stadt» Wien ein.