Um Ai Weiwei reisst sich die Kunstwelt. Das weiss er. Der chinesische Starkünstler richtet gern mit grosser Kelle an, er mag den Superlativ. Seine Installationen sind meist monumental. Viel von allem, gross und eindrücklich.
Eines seiner neuen Projekte ist nun aber erstaunlich klein: ein von ihm konzipiertes Objekt, bestehend aus leuchtorangen Sicherheitsjacken und einem Gestänge aus dem Baumarkt. Jeder und jede kann es sich ebendort kaufen und nach genauer Anleitung zusammensetzen. Alle sollen sich mit einem überschaubaren Budget einen zertifizierten, originalen «Ai Weiwei» erstehen können.
«Kunst ist Fehler machen»
«Safety Jackets Zipped the Other Way» nennt sich diese Soft-Sculpture, die Ai Weiwei für die Marke Hornbach entwickelt hat. In Anlehnung an eine seiner Installationen aus den 1980er-Jahren. Fünf von ihm falsch zusammengeknöpfte und drapierte chinesische Militärmäntel brachten die chinesische Regierung damals zur Weissglut.
Seit jeher bricht Ai Weiwei mit Regeln. «Kunst ist Fehler machen», sagt er. «Dinge aus ihrem Kontext nehmen, die eigentliche Funktion verschwinden lassen und einen neuen Sinn erzeugen.»
Der Querschläger lehnt sich sein Künstlerleben lang auf gegen jede Autorität und attackiert Gewissheiten. «Ich bin ein kultureller Terrorist. Meine Anschläge kommen unerwartet», sagt er, und Schalk blitzt aus seinem Mönchsgesicht, hinter dem vermutlich ein Vulkan tobt.
«Kunst gehört allen»
Sein neuster Anschlag: diese von einem Künstler seines Kalibers unerwartete Kooperation mit einer kommerziellen Baumarkt-Ladenkette. Diesbezügliche Berührungsängste kennt der chinesische Starkünstler nicht.
Als Hornbach mit einer Anfrage an ihn gelangte, war er von der Idee gar begeistert: «Ich liebe Baumärkte. Sie haben etwas Reales. Sie beziehen sich auf die Gesellschaft und auf den Alltag.» Hornbach gab dem Enfant terrible freie Hand. Das war Bedingung.
Ai Weiwei macht, was er will
Ai Weiweis Kritik mit dieser Arbeit gilt dem elitären Kunstbetrieb. Er will Kunst aus den Museen und Galerien holen und zu den Menschen bringen. «Kunst gehört allen. Echte Kunst muss in unserem Alltag passieren, nicht im Museum oder in der Galerie. Ich will, dass sich die Kunst aus dem Kunstkreis raus in die Gesellschaft bewegt. Dass auch nicht Kunst-affine Menschen Kunst kaufen und schätzen.»
Damit will Ai Weiwei nichts weniger als Kunst demokratisieren. Oder wie es im Begleittext heisst: «Wer diese Skulptur baut, wird Teil eines einzigartigen öffentlichen Kunstprojektes.» Da ist sie wieder, die Superlative des Ai Weiwei.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 12.02.2020, 22:25 Uhr