Mehr als 100 Menschen drängen sich am Samstag, pünktlich um 16 Uhr, im Foyer des Londoner Victoria & Albert Museum zusammen. Die meisten von ihnen sind jung, zwischen 20 und 30. Aber auch eine alte Dame lässt sich im Rollstuhl durch die Menge schieben. Alle warten auf eine ganz besondere Führung: Die LGBTQ-Tour.
Sie dreht sich um Ausstellungsobjekte mit schwulen, lesbischen, bisexuellen, transgender und queeren Themen. Was vor fünf Jahren als Nischenidee begann, ist mittlerweile ein Riesenerfolg. «Happy New Queer!», empfängt Dan Vo die Besucherinnen und Besucher zur ersten LGBTQ-Führung im neuen Jahr.
Bevor er sie in fünf grosse Gruppen aufteilt, sollen alle das Wort «queer» brüllen, bis der Boden bebt. Und das in der ehrwürdigen Renaissance-Abteilung der Sammlung. Es klingt wie eine kleine Revolution.
Im Trend: Alternative Museumstouren
Das Londoner Kunst- und Designmuseum war 2015 das erste Haus in Grossbritannien mit einer queeren Führung. Er setzte damit einen Trend. Unterdessen stellte Dan Vo, der die LGBTQ-Tour des Victoria & Albert Museums mitbegründete, ähnliche Programme für Museen in Cambridge und Cardiff auf die Beine.
Sogar grosse Kulturinstitutionen wie das British Museum in London bieten mittlerweile ähnliche Führungen an. Alternative Museumstouren wie diese ziehen auch Menschen an, die sich bisher ausgeschlossen fühlten.
Verschlüsseltes Verlangen
Über 100 durchs ganze Haus verteilte Gegenstände kommen bei der LGBTQ-Tour im Victoria & Albert vor. Die einstündigen Führungen variieren, je nach Expertise der 20 ehrenamtlichen Tourguides.
Entscheidend für die Auswahl der Objekte: «Das Thema, der Schöpfer und die Community – die Art und Weise, wie ein Objekt interpretiert wurde», erklärt Dan Vo, der die Führungen koordiniert. Wer etwa zu viktorianischer Zeit eine David-Figur von Michelangelo von der «Grand Tour» mitbrachte, konnte damit einen verschlüsselten Hinweis auf die eigene sexuelle Orientierung bei sich zu Hause platzieren.
Universales Symbol für Inklusion
Die Bedeutung mancher Objekte wurde auch verheimlicht. Wie in der Kolonialzeit, in der Homosexualität verboten war. Heute kann eine nordindische Statue von Ardhanarishvara (150-200 n.Chr.) wieder im ursprünglichen Sinn gedeutet werden: Sie ist halb Mann, halb Frau.
Der Hindugott Shiva verschmilzt darin mit seiner Frau Parvati als Symbol der Verbindung männlicher und weiblicher Energien des Universums. «Die Figur ist ein Statement der Inklusion und Vollständigkeit», heisst es auf der Museumswebsite.
Egal ob queer – Hauptsache neugierig
Ganz so vorsichtig erzählt es Dan Vo nicht. Viel lieber verpackt er sein Wissen in Witz und handfeste Anekdoten. Kein Wunder, dass der junge Australier mit vietnamesischen Wurzeln von der New York Times als «führende Figur in der Welt der alternativen Museumstouren in Grossbritannien» geadelt wurde.
Ganz gleich, ob man sich der LGBTQ-Community zugehörig fühlt oder nicht, Dan Vos Enthusiasmus ist ansteckend: Schliesslich geht es darum, Objekten ungeahnte Geschichten zu entlocken. Das macht jede(n) neugierig. «Einige der Besucher waren vorher noch nie im Museum», sagt Vo. «Und manche sind immer wieder dabei.»