Stolz steht der 48-Jährige vor seinen Fotos mitten in der Ausstellung im Vitra Design Museum. Sie zeigen ikonische Bauten namhafter Architekten ebenso wie Zeltstädte, Lehmhäuser oder Baustellen aus aller Welt. «Mit zwölf Jahren habe ich von meiner Grossmutter eine Kamera geschenkt bekommen.» Es war Liebe auf den ersten Klick: «Die Kamera ist für mich ein Werkzeug, um die Welt um mich herum zu begreifen, um die Erinnerung an Orte festzuhalten.»
Zur Architekturfotografie kam Iwan Baan, der mittlerweile mehrfach ausgezeichnet wurde, durch Zufall. «Der niederländische Architekt Rem Koolhaas lud mich 2005 ein, seinen Bau des CCTV-Gebäudes in Peking zu dokumentieren», erzählt er. Durch diese Arbeit wurde die Branche auf ihn aufmerksam.
Architekturbüros wie Herzog und de Meuron oder das japanische Sanaa wollten ebenfalls mit ihm arbeiten. «Sie sahen, wie ich an die Dinge heranging», sagt der Fotograf. «Mir geht es um Menschen, um Orte, und nicht darum, tagelang auf das perfekte Licht zu warten.»
Hinter Hochglanzbauten: Menschen
Iwan Baan merkte bald, dass er neben solchen Auftragsarbeiten für eigene Projekte weiterhin Menschen und Situationen fotografieren konnte, wie in seiner Kindheit. In Peking fotografierte Iwan Baan Arbeiter auf der Baustelle, wo sie nicht nur arbeiteten, sondern auch Pause machten und schliefen.
Baans Anliegen ist sozialer Natur. «Letztlich geht es mir darum zu zeigen, wie Menschen leben, unter verschiedenen Umständen und an unterschiedlichen Orten der Welt.»
Iwan Baans Aufträge führen ihn nach Tokio, Baku, Caracas oder New York. Bald gilt er als Meister der besten Perspektive. Doch ein Gebäude nur frontal, ohne Bezug zur Umgebung zu fotografieren, sei ihm seltsam vorgekommen. «Um die Form eines Gebäudes zu begreifen, muss man einen Schritt zurücktreten und es in einem grösseren Zusammenhang zeigen.»
Formen lesen, Perspektiven ergründen
Für Luftaufnahmen mietet Iwan Baan immer wieder einen Helikopter. Auch als die iranisch-britische Architektin Zaha Hadid ihn 2009 beauftragt, das Maxxi – ein Museum für zeitgenössische Kunst in Rom – zu fotografieren. «Das Bauwerk ist fantastisch, aber man fragt sich, warum es diese seltsam geschwungenen Formen hat». Aus der Vogelperspektive habe sie plötzlich Sinn ergeben: «Man sieht, wie das Gebäude die Form des Flusses aufnimmt.»
Geprägt hat ihn ein erster Helikopterflug 2001 in New York. Zwei Tage vor 9/11 hat er für ein Projekt Luftaufnahmen der Stadt und der Twin Towers gemacht. «Dann flog ich nach Amsterdam zurück und zwei Stunden später passierte der Terroranschlag und die Türme waren weg.» Seit damals verspüre er den Drang, Orte und Menschen mit der Kamera festzuhalten.
Ein Dokumentarist urbanen Lebens
Die Retrospektive im Vitra Design Museum korrigiert das einseitige Bild von Iwan Baan als Fotograf von Hochglanzarchitektur. Denn ihn interessieren alle Formen von Architektur, des urbanen Raums und der Menschen darin. Das kann eine 800 Jahre alte Felsenkirche in Äthiopien sein oder eine von Obdachlosen bewohnte Bauruine in Caracas.
Seine Kamera dient ihm dabei als Türöffner. «Sie ist eine grossartige Ausrede, um an Orte zu kommen, wo man eigentlich nicht hingehört.» Diese Orte sind mit seinen Fotografien im Vitra Design Museum nun für alle erlebbar.