Pfarrer Ernst Sieber wurde bewundert und verehrt, aber auch argwöhnisch beäugt. Immer wieder wurden ihm Eitelkeit und Selbstinszenierung vorgeworfen. Zumindest was die Porträt-Malerei betrifft, kann man aber mit Sicherheit sagen: Hier war er ganz bestimmt nicht auf sich fixiert.
«Ich fand mich nicht hübsch. Und mit einem Selbstporträt hätte ich kein Geld verdient», sagte Pfarrer Sieber vor Jahren gegenüber SRF über seine frühen Porträtmalereien.
«Ich habe aber jedes Semester ein Porträt gemalt von Menschen, die sich selbst hübsch fanden», erzählte Pfarrer Sieber im selben Gespräch. Mit Porträts finanzierte er sich sein Studium.
400 Franken für ein Porträt
Ein Porträt habe damals 300 bis 400 Franken gekostet. Die Semestergebühren der Theologischen Fakultät seien gering gewesen, er sei so gut über die Runden gekommen.
Die einfachen Verhältnisse des einstigen Bauernjungen wurden von seinen Kommilitonen durchaus wahrgenommen. Denn Ernst Sieber trug als Student oft ein Hirtenhemd. «An der Uni hat mich jemand gefragt, ob ich mich verirrt hätte», erzählte Pfarrer Sieber.
Er hatte kein Verständnis dafür, dass Theologiestudenten so materialistisch ticken konnten. Pfarrer Sieber hatte ein pragmatisches Verhältnis zur Mode: «Ich habe den Tipp bekommen: Wenn du eine Kapuze anhast, sparst du dir den Schirm.» Also trug Ernst Sieber oft Kapuze.
Jutesack statt Leinwand
Auch bei der Leinwand für die Porträts griff er zu einfachen Mitteln. Oft spannte er einen Jutesack über einen Rahmen. «Hier zeigt sich seine Einfachheit, seine Bescheidenheit», berichtet Stefan Schäppi, ein Kenner von Siebers künstlerischem Schaffen.
Als Präsident des Kulturfonds Horgen hat Schäppi vor zehn Jahren Bilder von Pfarrer Sieber ausgestellt. Er kennt Siebers künstlerische Haltung. «Er verwendet als Malunterlage einen gewöhnlichen Sack – in einem solchen ist wahrscheinlich auch Jesus herumgelaufen.»
Ernst Sieber war vom Heiligen Franziskus beeindruckt. Eines seiner Bilder zeigt, wie er auf seinen Bruder im Geiste trifft. Doch er malte nicht nur mit Öl, sondern auch mit Aquarellfarben. Auch war er ein leidenschaftlicher Bildhauer.
Bronzefiguren zeigen Christus und einen Afghanen
Über Bronze-Skulpturen auf dem Friedhof in Horgen hatte der Pfarrer einst gesagt: «Sie sind mein Testament. Ich habe daran 20 Jahre gearbeitet.»
Eine Christusfigur steht in einem Kreis von elf Bronzefiguren. Die Figuren im Kreis zeigen einen Reichen mit abweisender Hand, Kinder, die Fisch und Brot teilen, einen leidenden Afghanen mit einem hungernden Kind, zwei Menschen mit Behinderung, die sich gegenseitig stützen.
Sie spiegeln Pfarrer Siebers Kampf für Gerechtigkeit: «Ich zeige den Gegensatz von arm und reich, weil ich der Überzeugung bin: Die Armen sind die Adressaten des Gottesreiches.» Die Skulpturen zu formen war für ihn eine Gotteserfahrung: «Es gab mir das Gefühl, der Herrgott mache etwas mit mir.»
«Der Tod ist nicht das Ende»
Wenn Pfarrer Sieber seine Kunst erklären sollte, wurde daraus immer eine Predigt: «Christus hat keine Hände. Nur unsere Hände, um seine Arbeit zu tun. Christus hat keine Füsse.
Nur unsere Füsse, um Menschen auf seinen Weg zu bringen. Christus hat keine Lippen. Nur unsere Lippen, um den Menschen von seinem Tod zu erzählen.»
Dem Tod schaute Pfarrer Sieber gelassen entgegen: «Der Tod ist nicht das Ende.» Ernst Sieber predigte nicht nur über die Auferstehung, er glaubte auch fest an sie.
Der österliche Gedanke durchzog auch seine Kunst: Selbst seine dunklen Bilder hatten etwas Helles. Nicht das dunkle Grab des Karfreitags, sondern das wärmende Licht des Osterfeuers wollte er festhalten.
Letzte Ruhe bei den Skulpturen?
Ernst Sieber wird im Kreis der Familie bestattet werden. Die Details stehen noch nicht fest. Doch in Horgen erzählt man sich, Ernst Sieber habe hier bestattet werden wollen. Unweit jener Skulpturen, die in Ernst Siebers Leben eine so bedeutende Rolle spielten.