Seit Oktober 2021 ist ein bedeutender Teil der Bührle-Sammlung wieder öffentlich zugänglich: Das Kunsthaus Zürich hat rund 170 Kunstwerke als Leihgaben erhalten.
Nicht kritisch genug nachgeforscht
Diese Ausstellung steht in der Kritik. So warf ihr etwa im September der Historiker Erich Keller vor, immer noch NS-Raubkunst zu enthalten. Die Stiftung Bührle habe sich nicht kritisch genug mit der eigenen Sammlung auseinandergesetzt.
Nun erhält Keller Beistand von gewichtiger Stelle. Auch der Historiker Jakob Tanner greift das Kunsthaus an. Dieses habe sich auf veraltete Forschungen zur Herkunft der Bilder gestützt. Zudem habe es den Untersuchungen der Stiftung Bührle zu sehr vertraut.
Tanner spricht dabei aus eigener Erfahrung: In den 1990er-Jahren war er Teil der Bergier-Kommission. Diese untersuchte die Vermögen, die während des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz gekommen waren, also auch NS-Raubkunst.
Kunsthaus wehrt Vorwürfe ab
Zwar bestreitet Björn Quellenberg, der Mediensprecher des Kunsthauses, vehement, dass die Ausstellung noch Raubkunst enthalte. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung sei dies bei keinem der im Kunsthaus befindlichen Werke der Fall.
Allerdings liegt genau da der Knackpunkt. Tanner und mehrere seiner ehemaligen Kolleginnen kritisieren, dieser Forschungsstand sei nicht aktuell. Das Kunsthaus habe sich zu lange auf stiftungseigene Abklärungen berufen.
«Kein wirkliches Interesse an Aufklärung»
Das sei ein Fehler gewesen, rügt Tanner: «Es gab von dieser Stiftung her nie ein wirkliches Interesse an Aufklärung.» Deshalb könne man nicht davon ausgehen, dass ihre Inhouse-Forschung wissenschaftlichen Standards standhalte.
Tanner spielt damit auf ein Ereignis aus der Vergangenheit an: Als die Bergier-Kommission in den Neunzigern bei der Stiftung Bührle nachfragte, hatte diese ihr den Zugang zu den Akten verwehrt. Sie behauptete damals, es gebe kein Archivmaterial mehr zu Bührle. Eine Behauptung, die sich im Nachhinein als falsch herausstellte.
Neutrale Expertenkommission soll es richten
Die neueste Forschung habe nun diverse offene Fragen aufgezeigt, so Tanner. Es sei nun am Kunsthaus, diese abzuklären. Er und Kolleginnen der ehemaligen Bergier-Kommission fordern deshalb noch mehr historische Untersuchungen.
Zudem soll die Forschung der Stiftung Bührle durch eine neutrale Expertenkommission evaluiert werden. Weiter fordern die ehemaligen Mitglieder und Mitarbeitenden der Kommission, das Kunsthaus soll die Geschichte der Sammlung transparenter machen. Ausserdem soll der Bund ein unabhängiges Gremium einsetzen. Dieses soll zwischen den Beteiligten vermitteln.
Beim Bundesamt für Kultur gibt man sich zu den Vorwürfen bedeckt. Die Anlaufstelle Raubkunst, die für Verdachtsfälle auf NS-Raubkunst zuständig ist, schreibt auf Anfrage, es liege in der Verantwortung der Beteiligten selbst, eine faire und gerechte Lösung zu finden.
Bund will sich nicht festlegen
Allerdings will die Anlaufstelle Raubkunst den Vorschlag der Gruppe nicht ausschliessen. «Sollte sich das Bedürfnis aufgrund einer Zunahme der strittigen Fälle akzentuieren, könnte die Forderung nach einer externen Kommission erneut geprüft werden», teilt sie mit.
Auch mehrere Monate nach der Eröffnung des neuen Kunsthauses sorgt die Sammlung Bührle weiter für Schlagzeilen. Es scheint, dass die Diskussion um Nazi-Raubkunst in der Schweiz auch mehr als 75 Jahre nach Kriegsende noch längst nicht abgeschlossen ist.