Als der Kunstfund Gurlitt 2013 bekannt wurde, waren in den aufsehenerregenden Zeitungsberichten als Abbildungen oft die beiden Aquarelle «Dompteuse» und «Dame in der Loge» von Otto Dix zu sehen.
Nach dem vorläufigen Abschluss der Forschungsarbeiten an den rund 1'600 Werken aus der Sammlung Gurlitt gab das Kunstumuseum Bern nun bekannt, was mit diesen beiden Dix-Aquarellen passieren soll. Sie gehörten einst dem jüdischen Rechtsanwalt und Kunstsammler Ismar Littmann in Breslau. Höchstwahrscheinlich.
Diese Unsicherheit ist brisant. Denn ob diese Werke wirklich Littmann gehörten und ob es sich dabei um NS-verfolgungsbedingte Verluste handelt, lässt sich auch nach viel Forschung nicht beweisen. Trotzdem hat man sich am Kunstmuseum Bern nun für eine Rückgabe entschieden.
Forschung kommt nicht weiter
«Beweisen ist in diesem Fall nicht alles», erklärt Rechtsanwalt Marcel Brülhart, der das Kunstmuseum Bern durch das Dossier Gurlitt begleitet. Die Werke trotz der Zweifel an ihrer Herkunft einfach zu behalten, sei auch keine Lösung.
Der verantwortungsvolle Umgang mit Wissenslücken sei zentral für die Rückgabe, so das Kunstmuseum Bern in seiner Begründung. Denn nach langer Zeit eindeutige Beweise für oder gegen NS-Raubkunst zu finden, sei oft unmöglich.
Gegenpol zu Zürich und der Bührle-Sammlung
Mit der Rückgabe folgt das Kunstmuseum Bern einem Kurs, den das Kunstmuseum Basel als Pionier vorgemacht hat. 2020 einigte man sich dort mit den Erben des jüdischen Sammlers Curt Glaser auf eine gerechte Lösung. Dabei konnte auch in diesem Fall nicht bewiesen werden, dass die betroffenen Werke als NS-verfolgungsbedingte Verluste zu gelten haben.
Die Kunstmuseen in Basel und Bern gehen deutlich weiter als die anderen Schweizer Museen. Damit bilden sie einen Gegenpol zu der Haltung, die das Kunsthaus Zürich und die Stiftung Sammlung Bührle in den derzeitigen Kontroversen vertreten.
Weitreichende Konsequenzen
Der Entscheid am Kunstmuseum Bern betrifft aber nicht nur die Gurlitt-Werke, sondern auch die eigene Sammlung. «Wir werden mit derselben Haltung an die Fälle herangehen, die sich aus der Forschung zu unserer Sammlung ergeben», bestätigt Direktorin Nina Zimmer.
Derzeit würden drei Bilder von Ernst Ludwig Kirchner, Henri Matisse und Max Slevogt intensiv beforscht, weil deren Provenienzen Hinweise auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug enthielten. Beweise konnte die Forschung bisher nicht erbringen.
Opfer der NS-Verfolgung
Littmanns Kunstsammlung, zu der die beiden restituierten Dix-Bilder vermutlich gehörten, bestand aus rund 6000 Werken. Der Schwerpunkt lag auf dem deutschen Expressionismus mit Arbeiten von Lovis Corinth, Käthe Kollwitz oder Otto Müller.
Unter dem NS-Regime erhielt der Rechtsanwalt 1933 Berufsverbot, verlor seine Existenzgrundlage und musste Teile der Sammlung verkaufen oder verpfänden. 1934 beging Littmann Selbstmord.
Seine grosse Sammlung wurde in alle Winde zerstreut. Bisher wurden acht Werke restituiert. Mit den Rückgaben aus Bern sind es nun zehn.