Seine Hand wirkt, als würde sie im nächsten Moment zuschlagen. Jede Faser seines Körpers scheint angespannt. Vincenzo Vela schuf seine Skulptur des Sklavenführers Spartacus im Alter von erst 27 Jahren.
Schon damals beherrschte er die Kunst, seine Figuren lebendig und ausdrucksstark wirken zu lassen. «Seine Skulpturen sind wie Malerei in der dritten Dimension», sagt die Museumsdirektorin Gianna A. Mina. «Er war in jeder Hinsicht ein Erneuerer. Er hat die neoklassizistische Kultur des Bildhauens renoviert, und er war ein Freiheitskämpfer.»
Ein Kämpfer
Vincenzo Vela kämpfte als Republikaner im Sonderbundskrieg, und er unterstützte – wie viele Tessiner damals – den italienischen Befreiungskampf.
Sein Heimatort Ligornetto, wo er 1820 geboren wurde und in einfachen Verhältnissen lebte, liegt nur einen Steinwurf von der italienischen Grenze entfernt.
Goldmedaille für Grosses
Velas Engagement spiegelt sich in vielen seiner Werke: Er porträtierte die Helden des Risorgimento, also derjenigen, die eine Vereinigung Italiens anstrebten. Vela wurde zu einem gefeierten Bildhauer in Italien.
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Sein Ruf reichte bis nach Übersee, nachdem er bei der Weltausstellung in Paris 1867 für seine Skulptur «Die letzten Augenblicke Napoleons» mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde.
Bittere Wende auf dem Höhepunkt der Karriere
Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere musste er Italien verlassen. Denn nach den Unabhängigkeitskriegen wurde er nicht mehr als Freiheitskämpfer, sondern als Fremder gesehen. Eine bittere Erfahrung, sagt Gianna A. Mina: «Auf einmal gingen die grossen, nationalen Aufträge an seine italienischen Kollegen.»
Vela kehrte in seinen Heimatort zurück und baute auf einem Hügel oberhalb von Ligornetto, mit Blick ins geliebte Nachbarland Italien, eine fürstliche Villa mit Gästehaus und Künstleratelier, das er testamentarisch der Eidgenossenschaft vermachte.
Grenzen, Freiheit und Rechte
Ein Glücksfall und zugleich eine Herausforderung: Um ein breit gefächertes Publikum in das idyllische, aber abgelegene Museum zu locken, gibt es jedes Jahr ein bis zwei Sonderausstellungen mit Gegenwartskunst.
Die Leitung arbeitet ausserdem mit verschiedenen Institutionen zusammen. Gerade war eine Gruppe von Alzheimerpatienten zu Besuch.
Seit zehn Jahren kommen regelmässig Gruppen von Flüchtlingen aus den nahe gelegenen Asylzentren: «Die Grenze liegt so nah, und es war uns wichtig, eine Möglichkeit zu schaffen, wo eine Annäherung zwischen Asylbewerbern und uns entstehen kann.»
Thematisch gibt es in den Werken des Grenzgängers Vela viele Anknüpfungspunkte, sagt Gianna A. Mina: «Freiheit, Grenzen, die Rechte der Völker – das sind zeitlose Themen.»
Kunstwerke mit Bezug zur Gegenwart
Interessieren sich Flüchtlinge, nach allem, was hinter und vor ihnen liegt, wirklich für die Kunst eines Schweizer Bildhauers aus dem 19. Jahrhundert?
«Es geht bei dabei nicht so sehr um Kunst», sagt die Kunsthistorikerin, «sondern darum, einen Ort zu besuchen, der Raum für die Reflexion und vielleicht auch für Trauer bietet.»
In der Stille berühren sich die Zeiten
Wie sehr dies zutrifft, zeigt sich an diesem Nachmittag, als eine Gruppe von jugendlichen Somaliern die Dauerausstellung anschaut. Der 17-jährige Abdulrahman, der zum ersten Mal in seinem Leben in einem Museum ist, bleibt konzentriert vor den Skulpturen stehen.
Besonders berührt ihn ein Spätwerk von Vincenzo Vela, ein Relief über die Opfer der Arbeit am Gotthardtunnel. Ein Bronzeabguss davon hängt heute am Südportal in Airolo. Es zeigt, wie zwei schwer gezeichnete Arbeiter einen verletzten Kollegen auf einer Bahre wegtragen.
«Ich habe in meiner Heimat viele Menschen gesehen, die während des Krieges auf diese Weise weggetragen wurden. Was dieses Werk zeigt, habe ich erlebt.» Dann schweigt er lange. In der Stille berühren sich die heutige Realität und die Geschichte der Schweiz, dank der Gefühle, die ein Kunstwerk auslöst.