Die Frau hat das Zeug zur Kultfigur: eine 86-Jährige, muskulös, lebensfroh und selbstbestimmt. Sie lebt allein in der Nähe der Ostsee, auf einem riesigen parkähnlichen Grundstück. Sie hackt stapelweise Holz. Täglich durchpflügt sie das Meer, ohne Rücksicht auf die Feuerquallen.
So lebensprall die Mutter, so kraftlos der Sohn: Er ist Mitte 50 und in einer grossen Lebenskrise. So sucht er Halt am Ort, an dem er aufgewachsen ist. Aus dem Gegensatz zwischen erschöpftem, ausgebranntem Sohn und starker, hyperaktiver Mutter zaubert Meyerhoff grosse Komik. Und läuft in der liebevollen Beschreibung der Mutter-Sohn-Beziehung erneut zur Hochform auf.
Starke Charaktere in der Familie
Schauspieler Joachim Meyerhoff hat seit 2011 den grössten Teil seines Lebens in autobiografische Romane verwandelt. Die Reihe «Alle Toten fliegen hoch» ist einer der grössten Bucherfolge der letzten Jahre. Sie begann mit seinem Aufwachsen auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik, deren Direktor sein Vater war.
Meyerhoff beschrieb seinen USA-Aufenthalt, den Verlust seines Bruders oder auch seine Jahre an der Münchner Schauspielschule. Ein Höhepunkt: Die Darstellung seiner Grosseltern und deren grossbürgerlicher Münchner Wohnung. Die beiden sind ein Beispiel für die starken Charaktere, die Meyerhoff in seinem Leben vorfand. In den Romanen werden die Figuren literarisiert. Dabei aber nur so weit, wie Meyerhoff es auch im realen Leben für möglich hält.
Im «Säurebad Berlin»
Der nun erschienene sechste Band «Man kann auch in die Höhe fallen» beschreibt die letzte Zeit in Meyerhoffs Leben. Nach einem Schlaganfall in relativ jungem Alter beschliesst der Schauspieler, einen Neuanfang zu wagen. Mit seiner Familie verlässt er Wien und zieht nach Berlin, wo er im Ensemble der berühmten Schaubühne spielt. Doch der Aufbruch scheitert grandios.
Meyerhoff hadert mit seinem Beruf, aber vor allem mit der aggressiven Stimmung in Berlin, die ihn in seinem verletzlichen Zustand nicht gut bekommt. Gleich zu Beginn des Romans diagnostiziert er sich selbst eine «wesensfremde Gereiztheit» im «Säurebad Berlin».
Hier vergeht kein Tag, ohne dass er nicht angebrüllt, fast überrollt oder zumindest gemassregelt wird. Seine Totalentgleisung auf dem neunten Geburtstag seines Sohnes führt zum Entscheid, dass er dringend eine Pause braucht.
Intelligenter Anekdotenroman
Mit dem Vorsatz, ein neues Buch zu schreiben, begibt er sich für zehn Wochen auf das Anwesen seiner Mutter. Dort entscheidet er, den nun vorliegenden Band ihr zu widmen. Mit viel Liebe beschreibt er eine Frau, die den grössten Teil ihres Lebens anderen geschenkt hat und im Alter immer glücklicher und selbstbestimmter geworden ist.
Vor der Folie dieser starken Persönlichkeit beschreibt Meyerhoff mit grosser Selbstironie seinen Werdegang zum gefeierten Künstler und spart auch die Niederlagen nicht aus. Er erzählt ungemein komische Episoden aus der Theaterwelt, die sich im Roman mit den Erlebnissen im mütterlichen Refugium ergänzen.
Meyerhoffs Gespür für die Absurditäten des Alltags und für Situationskomik machen auch diese Folge seines Lebensromans zur intelligenten Unterhaltung.