Im Mai 1982 gab der junge US-amerikanische Künstler und Musiker Richard McGuire mit seiner Band «Liquid Liquid» ein Konzert in der Schweiz. Die später berühmte Basslinie aus dem Song «Cavern» kannte damals noch kaum jemand, erst 1983 wurde der Song veröffentlicht und schrieb Musikgeschichte: Hip-Hop-Pionier Grandmaster Melle Mel verwendeten den Basslauf noch im selben Jahr für seinen Hit «White Lines (Don't Don't Do it)».
«Der Song verfolgt mich», sagt Richard McGuire über 40 Jahre später. Er werde ihn einfach nicht mehr los. Tiefer Seufzer. Sei’s drum, Musik begleitet den Künstler bis heute. Die Ausstellung im Cartoonmuseum Basel zeigt, wie wichtig ihm Musik und Geräusche sind. Immer wieder hat er Sound kongenial in Zeichnung übersetzt.
Seine neusten Arbeiten übersetzen Vogelgesänge in abstrakte Bilder und zeigen schüchterne kleine Punkte oder lange verschnörkelte Linien. Richard McGuire hat die Fähigkeit zu überraschenden graphischen Lösungen zu kommen, die sitzen. Wer die Bilder sieht, weiss sofort, wie das klingt.
Klang als Diagramm
Auch seine neuen «Sound Drawings» nutzen Klänge. Sie erzählen zwar keine Geschichten, liefern aber jede Menge narratives Potenzial. Klänge wie Türenschlagen, Hundebellen oder dramatische Drum-Effekte werden in Diagrammen notiert. Was da genau passiert, kann sich dann jeder und jede selbst ausmalen.
Richard McGuire kann auf ungewöhnliche Weise ungewöhnliche Geschichten erzählen. Und er hat viele Talente. Neben Illustrationen, Bildern und Musik macht er Filme, Kinderbücher, Skulpturen und Comics.
Berühmt wurde er mit seiner Graphic Novel «Here» (2014), die wieder keine einzelne Geschichte erzählt, sondern von Zeit und Raum und der Vergänglichkeit handelt. Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach.
Vor derselben Wohnzimmerecke sind verschiedene Zeitfenster gleichzeitig zu sehen, das beginnt in grauer Vorzeit und endet in der Zukunft. Dabei erzählt McGuire keine einzelne Geschichte, sondern bloss Fetzen: Familienszenen, Alltägliches, Erinnerungen.
Es geht um das Vergehen der Zeit, um die Dinge, die immer gleichbleiben. «Alles ist vergänglich, das ist nicht unbedingt traurig», sagt der Künstler mit einem angedeuteten Lächeln. Der philosophische Comic ohne konventionelle Story wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Auch für «Here» nutzt Richard McGuire sein musikalisches Talent, variiert Tempo und Rhythmus und findet zu ausgefeilten Erzähltechniken: Er streut hier eine narrative Sequenz ein, verlangsamt an anderer Stelle mit elegischen Landschaftsbildern von vor 3 Milliarden Jahren.
Im Atelier mit McGuire
Die Ausstellung im Cartoonmuseum Basel zeigt, wie so ein Meisterwerk des visuellen Erzählens entsteht, mit vielen Skizzen, ja sogar einem Modell der Wohnzimmerecke. Und auch die erste Version der 300 Seiten schweren Graphic Novel ist zu sehen: Ein Comic von sechs Seiten, den McGuire 1989 in Art Spiegelmans und Françoise Moulys einflussreichem Comic-Magazin RAW publizieren konnte.
Selbst so etwas Banales wie den morgendlichen Toast mit Butter verwandelt McGuire in ein philosophisches Drama. In der Vogelperspektive erscheint das tägliche Ritual aufregend neu. Am Ende bleiben dennoch bloss ein paar Krümel, die einfach weggewischt werden. Ob von uns mehr bleiben wird?