Es begann mit einer Krise: 1973 scheiterte Friedrich Dürrenmatt spektakulär. Für sein Stück «Der Mitmacher» gab es am Zürcher Schauspielhaus Buhrufe statt Applaus. Mit dieser Niederlage begann für Dürrenmatt eine langsame Abkehr vom Theater und eine Hinwendung zur Prosa.
Weg vom Theater, hin zur Prosa
In der Ausstellung «Kosmos Dürrenmatt» im Museum Strauhof rückt nun diese späte Prosa in den Mittelpunkt. Der Ausstellungskurator Peter Erismann will so den Akzent in der Auseinandersetzung mit Dürrenmatt verschieben: «Weg vom erfolgreichen, aber missverstandenen Theaterautor hin zum späten Dürrenmatt.»
Zu jenem Dürrenmatt, der aus dem Scheitern eine kühne Wendung und Konsequenz gezogen habe: die Arbeit an seinem späten Prosa-Werk. Der Höhepunkt dieses Spätwerks seien die beiden publizierten Bände «Stoffe».
Das Hirn denkt sich die Welt aus
Die Ausstellung vermittelt schon im ersten, schwarz verhängten Raum einen Eindruck dieser «Stoffe». Über Lautsprecher sind Ausschnitte aus der Erzählung «Das Hirn» zu hören.
Darin erfindet Dürrenmatt ein isoliertes Hirn, das sich die Welt ausdenkt, vom Urknall bis zum Konzentrationslager Auschwitz.
Das Hirn ist der letzte Text der «Stoffe», einem Werk, das sich keiner gängigen Literaturgattung zuordnen lässt. Die «Stoffe» sind teils Autobiografie, teils Erzählung, teils philosophischer Reflexion.
Dürrenmatt wollte Antworten finden auf sein eigenes Leben: «Er hat sich die Fragen gestellt: ‹Wie bin ich eigentlich Schriftsteller geworden? Warum gibt es Stoffe, die mich schon sehr früh beschäftigt haben?›», sagt Kurator Peter Erismann.
Arbeit an einem gigantischen Werk
Das «Stoffe»-Projekt beschäftigte Dürrenmatt über 20 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1990. Davon zeugen 30’000 Manuskriptseiten aus dem Nachlass. Ausschnitte davon sind in der Ausstellung zu sehen. Korrekturen, Streichungen, verschiedene Fassungen geben einen Einblick in den Schaffensprozess an diesem gigantischen Spätwerk.
Die Manuskripte lassen sinnlich eintauchen in Dürrenmatts Handschriften, von der sorgfältigen Schönschrift bis zur zittrigen Bleistift-Schrift – immer in Blockbuchstaben.
Dürrenmatt engagierte in den 1970er-Jahren eine Sekretärin, die seine Manuskripte abtippte. Dürrenmatt habe klare Vorstellungen gehabt, wie diese Typoskripte aussehen müssen, erklärt Kurator Erismann: «Er war sehr pedantisch. Er hat darauf bestanden, dass viel Raum zur Verfügung steht, damit er korrigieren und Einschübe hinschreiben konnte.»
Ausstellung mit Anknüpfungspunkten
Peter Erismann ist eine im besten Sinne dichte Ausstellung gelungen, für die er einige Perlen aufgetrieben hat, wie die Tonaufnahmen aus dem Archiv des Schauspielhauses, auf denen Friedrich Dürrenmatt beim Regieführen zu hören ist.
Trotz dieser Seitenlinien und des Fokus auf das mitunter sperrige Spätwerk eignet sich die Ausstellung auch als Einstieg in Dürrenmatts Leben und Werk. Jeder findet hier Anknüpfungspunkte und kann Neues entdecken.