In den USA Schwarz und einigermassen bei Verstand zu sein, bedeute, sich fast immer im Zustand rasenden Zorns zu befinden. Dies ist einer der vielen Sätze, die James Baldwin bis heute zu einem unumgänglichen Autor machen. Er war verletzlich – und stand dazu. Und er war klug – und wusste es zu nutzen.
Doch sein Ruhm und Nachruhm waren ihm nicht in die Wiege gelegt. Baldwin, am 2. August 1924 in New York geboren, 1987 in Frankreich gestorben, stammte von Sklaven ab.
Eine Ikone – oder Zeuge der Zeit?
Seinen Vater kannte er nicht. Der Stiefvater, ein Laienprediger, drangsalierte ihn. Als er sechs war, schlugen ihn weisse Polizisten in Harlem fast tot.
Eine zugewandte Lehrerin, aber auch seine eigene Klugheit und sein eigener Wille führten Baldwin früh aus Hass und Verzweiflung.
Baldwin hat sich nicht als Ikone, sondern immer als Zeuge begriffen.
Trotzdem verliess ihn die Frage «Kann ich existieren, wenn ich schwarz bin?» nie. Baldwin war eng befreundet mit Bürgerrechtsikonen wie Martin Luther King und Malcom X.
Er war brillant und schlagfertig und schon in den 1960er- und 70er-Jahren ein Medienstar. Seine Plädoyers für Selbsterkenntnis verhallten letztlich aber auch für Weisse ungehört.
In den sozialen Medien sind sie heute präsenter denn je. Für die Übersetzerin seines Gesamtwerks, Miriam Mandelkow, ist das zweischneidig.
Indem Baldwin exzessiv und aus dem Zusammenhang gerissen zitiert wird, laufe er Gefahr, zum Monument zu werden: «Man spricht ja gern von Baldwin als Ikone, was er nie sein wollte. Er hat sich immer als Zeuge begriffen.»
Als Schwarzer und Schwuler war Baldwin mehrfacher Aussenseiter. Wie er in Romanen und Essays seine Zeugenschaft in Sachen Rassismus und Sexualität ablegte, lässt sich seit einigen Jahren in Neuübersetzungen von Miriam Mandelkow ablesen.
Musikalität und Nebeneinander
Das afroamerikanische Englisch und das Deutsche seien sehr unterschiedlich, sagt sie. Es sei eine Herausforderung, «diese ungeheuer musikalische Sprache und dieses Mit- und Nebeneinander von Liebe und Wut, Poetischem und Aggressivem auch wirklich herauszubringen.»
Was Klang und Dynamik von Baldwins Sprache betrifft, so ist sie ohne Jazz und Blues nicht zu denken. Zur Vorbereitung ihrer Übersetzungen hörte sich Mandelkow durch Baldwins Plattensammlung «Chez Baldwin».
Schon früh war sich Baldwin der Macht der Sprache bewusst. Als Jugendlicher predigte er besser als sein Stiefvater. Immer befragte er auch sich selbst: «Ich benutze die Sprache beim Schreiben, um herauszufinden, was ich nicht weiss, was ich nicht wissen will.»
Rassismus und Sexualität, Schwarze und homosexuelle Identitäten seziert er, verteidigt sie in berührenden Erzählungen aber auch vehement gegen Vorurteile.
Von der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal stammt die Bemerkung, niemand könne Baldwin lesen, ohne zu weinen. Seine Ehrlichkeit, Freimütigkeit und Liebenswürdigkeit treffen immer noch ins Mark. Der US-amerikanische Autor Ta-Nehisi Coates meint: «Er schrieb nicht, um zu überzeugen. Er schrieb darüber hinaus.» Ein schöneres Kompliment kann man Baldwin nicht machen.
In seinen 1972 erstmals publizierten Memoiren «No Name in the Street» dachte Baldwin scharfsinnig und ohne Bitterkeit über seinen Kampf gegen Rassismus und Homophobie nach. Immer getreu dem Motto, dass er ein ehrlicher Mensch und ein guter Autor sein wolle. Er war beides.