SRF: Nikolaus Stingl, wie fühlt es sich an, ein Phantom zu übersetzen?
Nikolaus Stingl: Als Person war Pynchon für mich wie für den Rest der Welt ein Phantom geblieben. Aber als Autor hatte ich Kontakt zu ihm. Ich konnte ihm Fragen stellen, und sie wurden beantwortet. Es gibt wenige Autoren, die so gut und bereitwillig mit ihren Übersetzern zusammenarbeiten wie Thomas Pynchon.
Seine Bücher zu übersetzen bedeutet einen ziemlichen Rechercheaufwand.
Wie funktioniert der Kontakt? Telefonieren Sie mit Pynchon?
Nein, er würde nicht wollen, dass irgendjemand seine Stimme hört. Man formuliert die Fragen und schickt sie per E-Mail an seine Ehefrau und Agentin. Sie kommen nach kurzer Zeit ausführlich beantwortet zurück.
Möchten Sie nicht wenigstens gerne sein Gesicht sehen?
Natürlich. Aber es ist nicht unbedingt nötig. Wenn Pynchon das nicht möchte, respektiere ich das.
Pynchons Romane sind voller Andeutungen und Wortspiele. Wie gehen Sie damit um?
Er verwendet unterschiedliche Textsorten und hat eine Vorliebe für das Dichten: Ständig tauchen Verslein und Lieder auf, die etwas kabaretthaft Schräges haben. Das ist schwierig rüberzubringen – und es reimt sich auch noch. Ansonsten sind seine Bücher voller literarischer, musikalischer und naturwissenschaftlicher Anspielungen. Das bedeutet einen ziemlichen Rechercheaufwand.
Ist man als Übersetzer genervt, wenn man so viel Arbeit hineinstecken muss, um das ins Deutsche zu übertragen?
Nein. Pynchons Literatur ist hochgradig unterhaltsam. Der Mann hat einen unglaublichen Humor, so dass man beim Übersetzen ständig lachen muss.
Bizarrste Dinge werden aneinandergereiht.
Trotzdem hört man ja immer wieder, dass er schwer zu lesen sei. Können Sie beschreiben, was diesen Humor in seiner Literatur ausmacht?
Pynchon erfindet Figuren, die typisch und komisch zugleich sind: In «Natürliche Mängel» ist die Hauptfigur ein Surfer und Hippie, der seine Brötchen als Privatdetektiv verdient. Er rutscht von einer Katastrophe in die nächste hinein – unter anderem, weil er ständig bekifft ist.
Dazu führt er eine Dauerfehde mit einem vollkommen überzeichneten Polizisten, der Stacheldraht-Sorten sammelt. Und so geht das weiter: Bizarrste Dinge werden aneinandergereiht und ergeben trotzdem eine stimmige Geschichte. Es gibt bei aller Komik eine Tiefendimension. Diese verhindert, dass die Geschichte in blossen Klamauk abgleitet.
Das Gespräch führte Katharina Mutz.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 8.5.2017, 17.22 Uhr.