Adolf Muschg ist der wohl bedeutendste lebende Schriftsteller der Schweiz. Sein reiches Oeuvre umfasst Erzählungen, Theaterstücke, Essays, eine Biografie über Gottfried Keller und zahlreiche Romane, darunter das «Opus magnum», der Parzifal-Roman mit dem Titel «Der rote Ritter».
Ab seinem Debüt «Im Sommer des Hasen» von 1965 bis zur Gegenwart hat Adolf Muschg immer wieder seine sprachliche Kunst unter Beweis gestellt. Entsprechend lang ist die Liste der Auszeichnungen, die er erhielt – darunter sind der Georg-Büchner-Preis oder der Schweizer Grand Prix Literatur.
Adolf Muschg sah seine Bestimmung nie einzig im Schreiben. Vielmehr mischte er sich immer wieder in kultur- und gesellschaftspolitische Debatten ein – und entwickelte sich zu einer der im In- und Ausland meistgehörten Stimmen.
Im Visier der Rechten
Dabei schuf er sich auch Feinde. Etwa in den 1990er-Jahren während der damaligen heftigen Diskussion über die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs.
Christoph Blocher schoss mit scharfem verbalem Geschütz auf den Autor, als dieser 1997 seine Streitschrift «Wenn Auschwitz in der Schweiz liegt» veröffentlichte. Der Text geisselte die offizielle Unschuldspose der Schweiz und brandmarkte das Unrecht gegenüber den vom Nationalsozialismus Verfolgten.
Ebenfalls schlecht kam in nationalkonservativen Kreisen an, wenn Muschg etwa die helvetische Position gegenüber der europäischen Einigung als überheblich und eigenbrötlerisch kritisierte. Oder wenn er den rücksichtslosen Umgang mit der Natur an den Pranger stellte.
Wie immer man zu Adolf Muschgs pointierten Äusserungen steht: Unbestritten ist, dass ihn der ausserordentliche Umfang seiner Bildung, seiner Interessen und seiner Talente für viele Jahrzehnte zu einer öffentlichen Instanz machte.
Die Literatur als Spielwiese
Doch nicht nur das Politische treibt den Intellektuellen um, sondern auch individuelle Erfahrungen. Insbesondere in seinen Romanen und Erzählungen stellte er immer wieder die Frage, wie sich der einzelne Mensch aus den Prägungen durch Herkommen, Kindheit und Gesellschaft befreien könne.
Literatur ist für ihn ein Ausloten von Möglichkeiten. Vieldeutigkeit begreift er als Freiheit. Er selbst wurde 1934 in ein protestantisches Elternhaus geboren, das er als sinnenfeindlich empfand. In seinen Werken erfand er Gegenwelten – etwa in Gestalt von sehr sinnlichen Texten wie dem Roman «Albissers Grund».
Das Andere erforschen
Ein lebenslanges Thema von Muschg ist das Fremde, das er am Beispiel Japans studiert hat. Die Faszination für Japan zieht sich durch sein Leben und durch seine Literatur. 1991 heiratete er Atsuko Schauwecker, geborene Kanto.
Adolf Muschg hat sich in ganz unterschiedlichen Bereichen engagiert: Generationen von Studierenden dürfte er als Literaturprofessor an der ETH Zürich in Erinnerung bleiben, wo er von 1970 bis 1999 eine Professur für deutsche Sprache und Literatur innehatte.
Auch stammt die Präambel der heutigen Schweizerischen Bundesverfassung aus seiner Feder. Ausserdem war er Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Und wir verdanken ihm die Gründung der interdisziplinären Denk- und Forschungsinstitution Collegium Helveticum in Zürich.
Adolf Muschgs Leben ist das eines Tausendsassas. Langeweile scheint er nie gekannt zu haben.