Falsche Bescheidenheit kann man dem Literarischen Monat wahrlich nicht vorwerfen. Seit Ausgabe eins verfolgte er nur ein Ziel: den trägen Schweizer Literaturbetrieb zu wecken. Das erzählte jedenfalls Gründer Michael Wiederstein vor zwei Jahren gegenüber der SRF-Literaturredaktion.
Verriss statt Mittelmass
Die Schweizer Literaturszene ist für ihn vor allem eins: klein und verfilzt. Jede und jeder kennt jeden. Viele Kritiker und Kritikerinnen mögen über Kolleginnen und Kollegen kein schlechtes Wort verlieren.
Der Literarische Monat wollte es anders machen – und druckte Verrisse statt Gefälligkeitsrezensionen. Damit machte sich das Blatt, das seit 2011 als Beilage des wirtschaftsliberalen Schweizer Monats erschien, nicht immer beliebt. Dennoch wurde es schnell zu einem wichtigen Player auf dem hiesigen Literaturmarkt.
Literatur aus allen Sprachregionen
Als einziges Printmedium berichtete der Literarische Monat ausschliesslich über Schweizer Literatur – und zwar aus allen vier Sprachregionen. Damit verhalf die Zeitschrift Autorinnen und Autoren zu Aufmerksamkeit, für die in den Feuilletons der grossen Zeitungen keinen Platz war.
Nun, da die Zeitschrift eingestellt wird, geht diese Plattform verloren.
Bei der Kultur gespart
Dass es so weit kam, hat finanzielle Gründe: Die Abos kompensierten maximal zehn Prozent des Verlagsaufwands. Auch Anzeigen wurden nicht genug verkauft. Deshalb zog der Verwaltungsrat den Stöpsel.
Nach Einschätzung des leitenden Redaktors Stephan Bader hätte sich der Verlag die Zeitschrift aber weiterhin leisten können – wenn er denn gewollt hätte. Er könne den Entscheid zwar nachvollziehen. Doch «dass man dieses Geld für die Kultur eben nicht in die Hand nehmen will, sagt viel darüber aus, welche Debatten für relevant erachtet werden.»
Hungerkur im Feuilleton
Auch andere Printmedien sparen bei der Kultur. So ist der Tagesanzeiger gerade dabei, sein Feuilleton praktisch zu streichen. Und das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung, das schon länger lieber aus dem Silicon Valley als dem Literaturhaus berichtet, erscheint seit Anfang Februar in verringertem Umfang. Gleiches gilt für die monatliche Literaturbeilage der NZZ am Sonntag, die laut Redaktionsleiterin Martina Läubli bald neu konzipiert wird.
Die Zeit der gedruckten Literaturkritik, sie scheint vorbei. Aber vielleicht ist das sogar ganz gut so.
Wandel statt Verlust
Stephan Bader jedenfalls möchte nicht von «Verlust», sondern von «Wandel» sprechen. Die Literaturkritik verschwindet schliesslich nicht. Sie wandert bloss ins Netz ab.
Das zeigen «Bookstagrammer» auf Instagram und Literatur-Youtuberinnen, das beweisen Buchblogs wie das Schweizer Buchjahr oder Tell-Review und Podcasts wie der Papierstau Podcast.
Die digitalen Formate bieten viele Vorteile. Zum einen sind sie kostenlos rund um die Uhr verfügbar. Zum anderen sind sie niederschwelliger. Online kann jeder zum Kritiker werden – auch ohne Germanistikstudium und Redaktionspraktika.
Das sorgt im besten Fall für mehr Vielfalt. Also dafür, dass nicht mehr nur alte weisse Männer und Frauen bestimmen, was als Literatur gilt.
Die Macht der Konsumiernden
Ein Problem allerdings bleibt bestehen: Auch online lässt sich mit Literaturkritik kaum Geld verdienen. Womöglich wird Literaturkritik in Zukunft deshalb nur noch als Hobby betrieben.
Was gelungene Literatur auszeichnet, bestimmen dann nicht mehr professionelle Kritikerinnen, sondern die Konsumenten – und der Algorithmus. Literarischen Erfolg hat also künftig, wer sich gut verkauft.
Transparenzhinweis: Der Autor war von 2015-2016 redaktioneller Mitarbeiter des Literarischen Monats.