Sunil Mann ist 52, lebt in Zürich und hat sich als Kinderbuch- und vor allem als Krimiautor einen Namen gemacht. Ab 2010 veröffentlichte der preisgekrönte Autor regelmässig neue Gangsterromane.
Damit ist jetzt Schluss. Zumindest für den Moment. Das Krimischreiben sei ihm «ein wenig verleidet», gibt der Autor zu Protokoll. Vor zwei Jahren veröffentlichte er den ersten Nicht-Kriminalroman «In bester Absicht» über eine Liebesbeziehung zwischen den Kulturen.
«Familienpoker» – Krimihörspiel nach Sunil Mann
Und jetzt den Erzählband «Bleiben tun sie nie» mit zwölf Geschichten. Darin treiben keine skrupellosen Auftragskiller oder Drogenbarone ihr Unwesen. Es geht um Feinstoffliches: um zwischenmenschliche Beziehungen und deren Verwerfungen.
Sprache für das Schweigen
«Mich fasziniert das Unausgesprochene zwischen Menschen», sagt Sunil Mann. Um dem auf die Spur zu kommen, sei der Krimi ungeeignet. Mit seinem Grundkonstrukt «Verbrechen, Ermittlung, Auflösung» sei er «zu langweilig».
Die zwölf Erzählungen schildern Menschen, die sich fremd geworden sind. Die sich nichts mehr zu sagen haben. Und trotzdem aneinander gefesselt bleiben.
Da geht es etwa um eine Teenagerin, die bei ihrem geschiedenen Vater lebt. Als dessen neue Partnerin einzieht, begegnet ihr die Jugendliche mit zäher Verstocktheit. Sämtliche Bemühungen der Frau um Zuneigung lässt die Tochter mit sadistischer Kälte ins Leere laufen.
Eine andere Geschichte handelt von einem erwachsenen Bauernsohn, der nach dem Tod der Mutter mit dem alten Vater allein auf dem Hof zurückbleibt. Doch ohne Frau im Haus fehlt das Bindeglied zwischen den beiden Männern. Sie schweigen sich an. «Seine Einsamkeit», sinniert der Sohn über den Vater, «ist eine andere als meine».
Sezieren der Gefühle
Sunil Mann legt in den Erzählungen mit pointierter und knapper Sprache Beziehungen unters Brennglas. Der Band stellt damit sowohl in Inhalt als auch Ton ein Kontrastprogramm dar zu den Krimis.
Statt irrwitzigen Verfolgungsjagden, Schlägereien und heimtückischen Täterfiguren gibt es viel Stille, Atmosphäre und Langsamkeit. Und gerade dies lässt jene Spannung entstehen, welche den Geschichten ihren ganz eigenen Sog verleiht.
Inspiration habe ihm der Alltag geboten, erzählt Sunil Mann: So würden ihn etwa Pärchen faszinieren, «die sich im Restaurant einen Abend lang anschweigen. Wie ist das möglich?»
Erinnerungen an frühe Jahre
Die Kulisse der Geschichten ist der Mikrokosmos des Landes, dargestellt in fiktiven Dörfern. Man kennt sich. Oft bis zum Überdruss. Und ist doch isoliert, weil das Gemeinschaftsleben zerbröckelt, weil Läden und Beizen schliessen.
Sunil Mann imaginiert sich in den Geschichten bisweilen wohl an Orte seiner Kindheit und Jugend zurück. Er ist als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland aufgewachsen. Als 20-Jähriger zog er in die Stadt, weil er sich nach «mehr Weite» gesehnt habe, wie er sagt.
Doch die Geschichten nähren sich zweifelsohne auch an den Erinnerungen des Autors, welcher dieser literarisch geschickt mit der universellen Frage verwebt, wie Individuen in unterschiedlichen Konstellationen zusammenleben.
Das gelingt Sunil Mann vortrefflich. Die Räuberpistole – wenn vielleicht auch nur vorübergehend – in der Schublade zu versorgen, war eine gute Idee.