Schätzungsweise 393 Millionen Schusswaffen befinden sich derzeit im Besitz US-amerikanischer Staatsbürger. Die USA haben knapp 332 Millionen Einwohner. Will heissen: Im Schnitt kommt auf jede Person mehr als eine Waffe.
Die Folge dieses Waffenfetischs kennt die Welt zur Genüge – aus grauenhaften Nachrichtenbildern von Amokläufen mit Toten, Verletzten und verzweifelten Angehörigen. Jährlich kommen in den USA etwa 40'000 Menschen durch eine Kugel ums Leben.
Der Waffenfetisch in Zahlen
Soweit einige der Zahlen, die der US-Schriftsteller Paul Auster in seinem neuen Essay anführt. «Bloodbath Nation» lautet der Titel des Buchs. Darin rechnet er ab mit der Vergottung des Waffentragens in seinem Land.
Auster schreibt: «Man sollte meinen, Blutvergiessen und Tod in solchem Umfang und auf einem gleichbleibend so hohen Niveau müssten Grund genug für den Ruf nach landesweitem Handeln sein.» Doch dem sei bekanntermassen nicht so. Amerikas Verhältnis zu Schusswaffen sei «alles andere als vernunftgesteuert».
Politisch engagierter Autor
Neben seinen Romanen hat Paul Auster schon oft Essays verfasst. Zu politischen Themen nimmt er regelmässig Stellung. Dass er sich nun mit dem laxen US-Waffenrecht befasst, hat auch persönliche Gründe: Paul Austers Grossmutter hat einst ihren Mann erschossen, also Paul Austers Grossvater.
Diese Familiengeschichte hat Auster zum Anlass genommen, intensiv auf die Geschichte seines Landes zu blicken. Er zeigt in seinem Essay, wie stark bereits die Entstehung der USA mit Waffengewalt verknüpft ist. Die Eroberung des Kontinents durch die europäischen Einwanderer war nur mit Schusswaffen möglich.
Dann das nächste dunkle Kapitel: die Sklaverei. Der Aufbau der Nation und dessen wirtschaftliche Blüte fussen zu einem grossen Teil auf der Unterdrückung von Sklaven. Auch dafür ständig im Einsatz: Schusswaffen.
Keine Hoffnung auf Besserung
Es sind keine neuen Erkenntnisse, die Paul Auster in «Bloodbath Nation» liefert. Trotzdem fasst er anschaulich zusammen, woher die US-Waffenkultur rührt – und wie viel Leid sie anrichtet.
Das Buch schwächelt allerdings bei der Frage, warum sich das heute politisch kaum ändern lässt. Zwar nennt Auster die einflussreiche Lobby-Organisation, die National Rifle Association (NRA), die seit Jahrzehnten alle politischen Versuche blockiert, den Waffenbesitz stärker zu regulieren.
Aber wie der Einfluss der NRA derart stark werden konnte, zeigt Auster nicht. Dafür ist das Buch zu sehr Essay und zu wenig Sachbuch. Auch eine Lösung des Problems sieht er in naher Zukunft nicht.
Fotos verlassener Tatorte
Bebildert ist das Buch mit Fotos des Fotografen Spencer Ostrander. Schwarz-Weiss-Aufnahmen von Schulen, Kirchen, Supermärkten, Clubs oder Hotels. Verlassene, im Grunde nichtssagende Orte, denen Eines gemeinsam ist: In ihnen haben sich schreckliche Massaker zugetragen. Unter den Fotos steht jeweils die Zahl der Opfer.
Durch Spencer Ostranders Fotos wird die Hoffnungslosigkeit von Paul Austers Worten noch verstärkt. «Bloodbath Nation» ist alles andere als eine Werbebroschüre für die USA.