Als sich David Lagercrantz 2014 bereit erklärte, die Millennium-Serie von Stieg Larsson weiterzuschreiben, erntete er Spott und Verachtung. Doch Lagercrantz zeigte es allen: Seine drei Fortsetzungsbände überzeugten selbst hartnäckige Kritiker.
Wie war Ihre erste Reaktion, als man Ihnen diesen Job als Larsson-Nachfolger anbot?
Ich zögerte keinen Moment. Im Rückblick habe ich mich allerdings oft gefragt, wie ich nur so dumm sein konnte. Gleichzeitig liebte ich Stieg Larssons Charaktere: Ich habe schon immer gerne über Aussenseiter geschrieben. Lisbeth Salander passte perfekt.
Als der Proteststurm über mich hinwegfegte, bin ich zu Tode erschrocken. Ich spürte: Meine Gegner gieren nach Blut (lacht).
Gab es Vorgaben für die Fortsetzung?
Nein. Aber es war klar, dass ich Lisbeth Salander in diesem vierten Band nicht plötzlich in einen Vorort mit einem Ehemann und Kindern verpflanzen konnte.
Mir war es ein Anliegen, den Charakter von Lisbeth Salander psychologisch zu vertiefen. Lange träumte ich davon, Lisbeth zu knacken und den Super-Woman-Charakter etwas weicher und zerbrechlicher zu gestalten. Einen kleinen Schritt in diese Richtung habe ich erst jetzt im letzten Band «Vernichtung» gewagt: Dort ist sie zumindest auch mal verunsichert.
Ihre Arbeit ist eine Gratwanderung: Einerseits müssen Sie der Vorlage von Stieg Larsson treu bleiben und wollen doch Ihr eigenes Buch schreiben.
Der Trick besteht darin, die Figuren zu deinen eigenen zu machen; Stieg Larsson hat sie zwar erfunden, aber du überführst sie in deine Schreib-DNA.
Stieg Larsson war ein politischer Mensch. Inwiefern teilen Sie seine Leidenschaft?
Natürlich bin auch ich ein politischer Mensch. Und heute ist die Situation ja ganz anders als noch zu seinen Zeiten: Stieg Larsson kämpfte gegen die extremen Rechten, die es damals erst in kleinen Gruppierungen gab. Er sah das Übel kommen. Heute sind wir umringt von diesen Mächten, die die Demokratie untergraben.
Nie zuvor habe ich in so gefährlichen Zeiten gelebt. So gesehen fällt es mir leicht, Stieg Larssons Engagement zu teilen, für demokratische Werte einzustehen und Intoleranz und Rassismus zu bekämpfen.
Larsson schrieb die Trilogie in den beginnenden Millennium-Jahren, und schon damals war Lisbeth Salander ein Internet-Crack. Die grosse digitale Revolution geschah erst nach seinem Tod.
Es war eine geniale Idee von Stieg Larsson, Lisbeth Salander als Hackerin zu lancieren. Auch in diesem Punkt hatte er etwas Visionäres: Zu seinen Lebzeiten war das Problem noch nicht virulent. Heute leben wir in einer Zeit, in der die schlimmsten Hacker-Attacken von Staaten begangen werden; Hackerattacken, die Präsidentschaftswahlen beeinflussen können und Falschinformationen verbreiten.
Cyber-Angriffe stellen eine echte Bedrohung dar. Wir benötigen also mehr denn je solche Hacker-Heldinnen wie Lisbeth.
Auch in Ihren Büchern hat Salander als Hackerin die Nase vorn. Wie schafften Sie es als Autor, internetmässig am Puls der Zeit zu bleiben?
Es war eine immense Arbeit, und es gab oft Momente, da glaubte ich, diesen Job nicht zu überleben. Aber ich habe es geschafft und wuchs daran.
Dank Ihnen ist die Millennium-Serie mittlerweile auf sechs Bände angewachsen. Sie haben das Ende bewusst offen gelassen. Glauben Sie, dass die Serie weitergeht?
Ich habe keine Ahnung, ob jemand die Chance packt, meine Nachfolge anzutreten; aber ich weiss, dass Lisbeth Salander zu gut ist, um zu sterben. Sie gehört der Ewigkeit und irgendwann wird sie zurückkommen.
Das Gespräch führte Luzia Stettler.