Das Leid des Krieges auf Fotos gebannt: Den Ukrainerinnen und Ukrainern, die Mark Neville für sein Fotobuch «Stop Tanks with Books» fotografiert hat, steht der Krieg ins Gesicht geschrieben. Die Menschen auf den Porträts stammen vornehmlich aus den seit Jahren umkämpften Gebieten in der Ostukraine.
Sie blicken meist direkt in die Kamera, ihre Augen lassen das erlebte Unheil erahnen. «Als ich das Buch vor sieben Jahren plante, war eines meiner Ziele, die Aufmerksamkeit des Westens auf die Ukraine zu lenken. Sie einzuspannen in den Kampf, damit die Ukraine unabhängig bleibt», sagt Neville.
Eingeholt vom Krieg
Mark Neville, der seit Jahren in der Ukraine lebt, befand sich in seiner Wohnung in Kiew, als die ersten Bomben fielen. Kurz darauf floh er mit seiner gesundheitlich angeschlagenen Frau zunächst nach Polen und dann nach Frankreich, Marseille. «Das schöne Wetter hier tut uns gut. In gewisser Hinsicht haben wir uns dem Konflikt entzogen. Natürlich aber kann man sich dem nirgendwo entziehen», sagt Neville.
Tatsächlich scheint der Brite dem Krieg nicht entfliehen zu können: Zwischen 2015 und 2018 begleitete er als Kriegsfotograf Fallschirmjäger in Afghanistan. Als er nach Grossbritannien zurückkehrte, holte ihn das Erlebte ein. Was folgte, war eine posttraumatische Belastungsstörung.
Bevor er mit dem Projekt «Stop Tanks with Books» begann, wollte er der Fotografie zunächst abschwören. Auch in der jetzigen Situation hat er damit zu kämpfen: «Seitdem ich selbst zum Flüchtenden geworden bin, finde ich es unfassbar schwierig, Fotos anderer Flüchtender zu machen. Diese schreckliche Erfahrung hat mich überrollt.»
Die Mächtigen der Welt aufrütteln
Das Buch soll spezifisch Menschen in Machtpositionen ansprechen. Die erste Auflage von 750 Büchern schickte Neville an Politikerinnen und Politiker, Mitglieder des Europäischen Parlaments, an wohlhabende und berühmte Personen. Darunter der kanadische Premierminister Justin Trudeau oder auch der US-amerikanische Schauspieler Sean Penn.
Passiert ist wenig. Antworten, Anrufe oder E-Mails, habe Neville kaum erhalten. «Das schockiert und erstaunt mich sehr. Ich denke, das Buch wird dennoch etwas mit den Menschen machen. Bücher bahnen sich nämlich auf schon fast heimtückische Weise ihren Weg in die Köpfe und Herzen der Menschen.»
Anzeichen auf Krieg blieben unbeachtet
«Stop Tanks with Books» hätte den jetzigen Krieg verhindern sollen, so Mark Neville. Es kam zu spät.
Es erschien vier Tage vor der russischen Invasion am 24. Februar. «Was mich zutiefst nervt, ist, dass ich, ein Typ mit einer Kamera, den grossflächigen Kriegsausbruch seit sieben Jahren habe kommen sehen. Das heisst, viele ranghohe Politikerinnen und Politiker im Westen sahen ihn auch kommen und haben nichts unternommen.»
Neville fühle sich der Ukraine emotional weitaus verbundener als seiner Heimat Grossbritannien. «Es ist zutiefst persönlich für mich, es ist mein Zuhause und ich habe ein Recht, etwas zu sagen und ich werde es verdammt noch mal auch tun.»
Hilfskonvois nach Kiew
Die Verbundenheit zur Ukraine kennt für Neville keine Grenzen. Immer wieder fährt er von Warschau aus mit Hilfskonvois zurück nach Kiew, um Hilfsgüter zu liefern, vor Ort zu sein. Was die Menschen dort aber vor allem brauchen, sei finanzielle Hilfe und ein schnelles Kriegsende, so Neville.
Auch wenn das Echo zu seinem Buch klein blieb, ist für Neville klar, dass Fotografie viel bewegen kann. Kultur sei in Kriegszeiten unverzichtbar. «Kulturelle Repräsentationen sorgen dafür, dass Menschen eine Verbindung zum Geschehenen spüren.»
Seine Fotos werden im Rahmen einer Ausstellung im «Albert and Victoria Museum» in London gezeigt. Zudem, so Neville, wird er eine Pressekonferenz vor dem Europäischen Parlament in Brüssel halten.
Er ist weiterhin davon überzeugt, dass sein Buch etwas bewirken wird.