Die Schriftstellerin Ruth Schweikert wurde 58 Jahre alt. Als sie im Juni vergangenen Jahres starb, verstummte eine der wichtigsten literarischen Stimmen der Schweiz. Für einen letzten, leisen Nachhall sorgt nun ihr Ehemann, der Dokumentarfilmer Eric Bergkraut. Er hat ein Buch über die Wochen vor ihrem Tod geschrieben. Es heisst «Hundert Tage im Frühling. Geschichte eines Abschieds». Ein himmeltrauriges Buch.
Eric Bergkraut spricht seine verstorbene Frau darin direkt an, in Du-Form. Und es endet mit Schweikerts Tod: «Heute ist der 4. Juni 2023, ein Sonntag. Der Frühling ist vorbei, es sind gut hundert Tage seit der Explosion in Deinem Körper. Ich habe das Bedürfnis, mich vor Dir zu verneigen.»
Unheilbar krank
Die Explosion, von der Eric Bergkraut schreibt, ist der Hirntumor, dem Ruth Schweikert im Juni vergangenen Jahres erlag. Einige Jahre zuvor war bei ihr schon einmal Krebs diagnostiziert worden. Sie überwand die Krankheit – zunächst.
Dann kehrte sie zurück: Als Anfang 2023 ein Hirntumor bei ihr festgestellt wurde, begann für Schweikert eine Odyssee durch mehrere Kliniken – bis sie und ihr Mann schliesslich entschieden: Es ist besser, nach Hause zu gehen.
Ruth Schweikert starb daheim. Als Bergkraut spürte, dass es so weit ist, rief er einen der gemeinsamen Söhne an und bat ihn, schnell zu kommen: «Er lässt Dir ausrichten, er sei glücklich, Dein Sohn zu sein. Da kullert eine Träne aus Deinem linken Auge langsam über die ganze Wange. Es ist die letzte Bewegung in Deinem Gesicht, die ich erinnern werde.»
100 Tage bis zum Tod
Eric Bergkraut dokumentiert in seinem Buch die letzten rund 100 Tage im Leben seiner Frau. Den Verlauf ihres Sterbens. Das zu lesen ist bedrückend, natürlich. Und mitunter wird es auch unangenehm intim, zumal man sich fragt: Wäre Ruth Schweikert einverstanden gewesen mit diesem Sterbeprotokoll?
Bergkraut beschreibt, wie die Bewegungen Schweikerts nach und nach minimaler wurden. Wie sie irgendwann kaum noch den Kopf wenden konnte, dann bloss noch die Augenlider leicht öffnen – und schliessen. Zudem zitiert Bergkraut die blitzgescheiten Gedanken, die Schweikert noch zu äussern geschafft hat.
Bei aller Indiskretion – man spürt Bergkrauts Respekt und Liebe zu seiner Frau in diesem Buch. Mit viel gutem Willen lässt sich sodann auch über sprachliche Holprigkeiten hinwegsehen.
Rückblick auf die gemeinsame Zeit
Für die Zeit nach ihrem Tod gab Ruth Schweikert ihrer Familie ein Credo mit auf den Weg: «Weint um mich, aber freut euch auch, dass es mich gab.»
Bergkraut wiederholt diesen Satz an mehreren Stellen. Es ist der Satz, an dem er sich in dieser Zeit des Abschiednehmens festhält – und wohl auch noch heute.
Im Buch blickt Eric Bergkraut aber auch weiter zurück. Er beschreibt, wie er Ruth Schweikert einst kennengelernt hat. Er erzählt von den Hochs und Tiefs in ihrer Ehe, in ihrem Familienleben. In kurzen, schlaglichtartigen Abschnitten zeichnet er Ruth Schweikert als einen Menschen, der ihn bis zum Schluss beeindruckte.
2019, nach ihrer ersten Erkrankung, hat Ruth Schweikert einen Krebsbericht mit dem Titel «Tage wie Hunde» veröffentlicht. Das Buch ihres Ehemanns ist nun der Versuch einer Fortschreibung dieses Werks. Vor allem aber ist es: eine Hommage an seine Frau. Eine Verneigung.