Der Tag begann mit Jakob Nolte, einem jungen und erfolgreichen deutschen Theaterautor. Juror Hubert Winkels bezeichnete Noltes «Tagebuch einer jungen Frau, die am Fall beteiligt war» als «romantisches Grossereignis» – eine Hymne, die allerdings andere aus der Runde nicht teilen konnten.
Für Hildegard Keller war der Text lediglich «ein behauptetes Tagebuch», für Nora Gomringer war er «eitel und selbstverliebt». Einzig Insa Wilke sprang dem Autoren zur Seite: für sie war der Text «ein Piranha mit geöffnetem Maul, der wartet, dass wir in die Falle reinspringen», und das, weil er gegen ästhetische Normen verstosse.
Der Text dekonstruiere die klassische Erzählform auf allen Ebenen, so Winkels. Es gehe gerade um die Abweichung von Metaphern: «Es ist schwer, falsch etwas gut zu machen.»
Inwieweit schräge Bilder wie «die Unschuld eines Militärs» zum Programm des Textes gehören, blieb für Hildegard Keller offen. Und Stefan Gmünders Feststellung, dass gute Texte den schlechten oft näher sind als den sehr guten, wurde von der Jury gar kommentarlos hingenommen.
«Dieser Text ist blöd»
Stephan Groetzners Text «Destination: Austria» sorgte vor allem bei Klaus Kastberger für Unmut: «Dieser Text ist blöd. Was ihn rettet, ist, dass er blöd sein will.»
Groetzner rufe alle Klischees auf, die über Österreich im Umlauf seien, und er beruhe auf einer Drogenerfahrung – einer Drogenerfahrung namens Österreich. Für Nora Gomringer hingegen war der Text «beeindruckend gefertigt», ihr gefiele das Getragene der Sprache.
Ein Text über Sprachlosigkeit
Das Highlight des Tages war zweifellos der Text von Özlem Özgül Dündar, geboren 1983 im deutschen Solingen – ein eindringlicher Text über vier Mütter. Es ist ein Text über Sprachlosigkeit, eine «Litanei mit Trauerfunktion», wie Winkels sagt.
Es ist empfehlenswert, die Lesung online anzuschauen. Denn der Text selber ist (bewusst und gewollt) ohne jegliche Interpunktion verfasst. «Eine Sprachwucht – furios», sagt Jurorin Nora Gomringer.
Räuberpistole mit Terrorist und Flugzeugabsturz
Der jüngste Autor des Wettbewerbs, Lennart Loss, Jahrgang 1992. Sein Text «Der Himmel über 9A» ist laut Nora Gomringer «lässig und unhysterisch». Er erzählt von einem Flugzeugabsturz auf offenem Meer. Ein Überlebender: Hannes Sohr, ein ehemaliger RAF-Terrorist.
Die Jury war sich uneinig darüber, wie realistisch und wie komisch diese «Räuberpistole», wie Winkels den Text nennt, gemeint ist. Klaus Kastberger fand das Zusammentreffen von so vielen Zufällen «unglaubwürdig dahingerammelt», Insa Winkel hingegen «absolut plausibel». Für Michael Wiederstein war klar: «Der Name Hannes Sohr klingt so sehr nach Deutschem Herbst, dass ich mir grad 'ne Trainerjacke anziehen will.»
Am Sonntag wissen wir, wer in diesem Jahr mit dem Ingeborg Bachmann-Preis im Gepäck nach Hause fliegen wird. Meine persönlichen Favoriten sind: Tanja Maljartschuk, Özlem Özgül Dündar, Bov Berg.