Kunst dominiert das Leben der Belgierin Ann Demeester, die seit Anfang 2023 das Kunsthaus Zürich leitet. Die studierte Literaturwissenschaftlerin ist aber auch eine «unersättliche Leserin», wie sie verrät. Was das mit einem engagierten Bibliothekar zu tun hat und warum sie «Moby Dick» so ermüdend findet.
SRF: Welches ist ihr liebstes Buch?
Ann Demeester: Ich bin unersättlich im Lesen und ein Allesfresser! Ich mag besonders (trans-)historische Romane mit Fantasy-Elementen, die an persönliche Schicksale heranzoomen. Eine Mischung aus Fakten und wilder Fantasie, die gleichzeitig ein anschauliches Bild einer bestimmten Zeit vermitteln. Besonders drei Romane verfolgen mich über Jahre hinweg: «Mitternachtskinder» von Salman Rushdie, «Gegen den Strich» von Joris Karel Huysmans und «Heimkehren» von Yaa Gyasi.
Ein Buch, das Ihnen die Liebe zum Lesen eröffnet hat?
In der Bibliothek des Dorfes, in dem ich an der belgischen Küste aufgewachsen bin, hatten wir einen sehr belesenen und engagierten Bibliothekar, dessen Bruder Shakespeare-Übersetzer war. Die Bücher, die er mir in die Hand drückte, haben meine aufkeimende Liebe zur Literatur ein für alle Mal besiegelt: Von Frances Hodgson Burnetts «Der geheime Garten» über Shakespeares «Sommernachtstraum» bis hin zu Tolstois «Anna Karenina».
Ein Buch, das Sie immer wieder zur Hand nehmen?
«The Garden of Evening Mists» von Tan Twan Eng – das noch nicht auf Deutsch erschienen ist. Ein unglaublich bewegender Roman über Schmerz, Verlust, Trauer und ungewöhnliche Formen der Liebe und Hingabe.
Welches Buch sollten alle lesen?
«Die Enzyklopädie der fiktiven Künstler»: eine Übersicht über alle von Schriftstellern erfundenen Künstlerinnen und Künstler in der europäischen und amerikanischen Literatur seit 1605. Sie existieren nur auf dem Papier, sind aber lebendige Figuren, die oft bestimmen, wie wir denken, dass Künstler leben und arbeiten.
Bei welchem mussten Sie laut lachen?
«The Cocka Hola Company» des norwegischen Künstlers und Schriftstellers Mattias Faldbakken. Er zieht sprachlich alle Register, mit viel Dialekt und Slang – und einer Menge Ironie und schwarzem Humor.
Melvilles endlose Beschreibungen der Walfischjagd ermüden mich so sehr, dass ich nach den ersten 80 Seiten immer wieder stecken bleibe.
Eine Leseleiche: ein Buch, das Sie einfach niemals beenden?
«Moby Dick» von Herman Melville: Obwohl ich weiss, wie ikonisch dieser Roman ist, habe ich es nie geschafft, ihn von vorne bis hinten zu lesen. Normalerweise bin ich eine pflichtbewusste Leserin, aber Melvilles endlose Beschreibungen der Walfischjagd ermüden mich so sehr, dass ich nach den ersten 80 Seiten immer wieder steckenbleibe.
Welches Buch hätten Sie gerne selbst geschrieben?
«Salomon» von Hafid Bouazza. Der niederländisch-marokkanische Schriftsteller war ein Zauberer der Sprache, der uns in einen erzählerischen Rausch versetzt.
Ein Buch, das uns die heutige Welt erklärt?
Hans Vaihingers Werk «Die Philosophie des Als Ob» von 1911. Es erklärt, wie der Menschen als Homo Ludens fiktive Geschichten als wesentliche Spielkompetenz benötigt, um mit dieser Welt umgehen zu können – und dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben.
Ein Buch, dem Sie mehr Leser wünschen?
«The Children’s Book» von A.S. Byatt: Es spielt im edwardianischen England und zeigt das Auf und Ab der Familie der berühmten Kinderbuchautorin Olivia Wellwood und die existenziellen und künstlerischen Kämpfe des gequälten Töpfers Benedict Fludd. Das Persönliche, Politische, Soziale und Psychische ergeben einen reich strukturierten Roman.
Das Gespräch führte Markus Tischer.