Sie habe leider keinen Zauberstab, sagt Ann Demeester immer wieder. Und nein, sie bereue es nicht, den Job am Kunsthaus Zürich angenommen zu haben.
Die neue Museumsdirektorin absolviert derzeit ein Interview nach dem anderen in der vornehmen Jugendstilvilla, in der das Zürcher Kunsthaus seine Büros hat. Trotz drängender Probleme scheint sie ihre gute Laune nicht zu verlieren.
Wie weiter mit Bührle?
«Wir brauchen Zeit, um gute Lösungen zu erarbeiten», sagt die gebürtige Belgierin, die acht Jahre lang das Frans-Hals-Museum im niederländischen Haarlem leitete. Eines der drängendsten Probleme am Kunsthaus ist die Präsentation der umstrittenen Bührle-Bilder: Wie sollen sie gezeigt werden?
Der zeithistorische Kontext von Flucht, Enteignung und Holocaust wird derzeit ungenügend vermittelt, Emil Bührle unkritisch als Wohltäter präsentiert.
Noch im Dezember 2021 verkündeten Lukas Gloor von der Bührle-Stiftung und Kunsthaus-Direktor Christoph Becker, mit der Bührle-Sammlung sei alles in bester Ordnung. Ein halbes Jahr später schlug Ann Demeester andere Töne an: «Problem erkannt», so die Botschaft ihres ersten Medienauftritts.
Sind unter den Bührle-Werken Bilder, die allenfalls zurückgegeben werden müssten? Kürzlich fand die erste Sitzung des runden Tisches statt, der – unabhängig von Stiftung, Kunsthaus, Stadt und Kanton Zürich – festlegen soll, wer diese Frage untersucht. Das wird dauern.
Provenienzforschung soll profitieren
Unterdessen will Demeester bis Ende 2023 die Vermittlung der umstrittenen Bührle-Leihgaben im Kunsthaus Zürich überarbeiten. Wie genau, das sei noch offen, sagt die Direktorin.
Aber man will sich dafür in Zürich Hilfe holen und mit anderen Museen vernetzen, die bereits Lösungen für den Umgang mit schwierigen Vergangenheiten entwickelt haben. Als schnelle Massnahme werde eine Broschüre mit den Geschichten der Voreigentümer von Bührles Bildern herausgeben.
Auch die Provenienzforschung fürs eigene Haus will Ann Demeester ausbauen. Auf Nachfrage präzisiert sie: Die nötigen Mittel dafür seien noch nicht gefunden. Die 47-jährige Direktorin will Fragen zu und Kritik an den Provenienzen der Werke in der Kunsthaus-Sammlung nicht mehr einfach ignorieren, sondern eine Haltung dazu entwickeln.
Lösungen für Verdachtsfälle
Die Kunstmuseen von Basel und Bern haben eine solche Haltung in den letzten Jahren erarbeitet: Beide Museen übergaben einzelne Werke an die Erben früherer Eigentümerinnen und Eigentümer oder fanden faire Lösungen dafür.
Ein wichtiger Punkt dabei: Es gab jeweils starke Hinweise auf eine verdächtige Provenienz, zum Beispiel ein Händlername, der mit NS-Raubkunst in Verbindung steht. Auf Beweise dafür stiess die Forschung allerdings nicht. Weil die Museen dennoch Lösungen fanden, gelten sie in der Schweiz als Pioniere.
Ob die künftige Haltung am Kunsthaus Zürich sich beim Umgang mit belasteten Werken von Bern und Basel inspirieren lässt, kann Ann Demeester noch nicht sagen. Der Prozess beginne erst. «Das klingt wieder wie eine Verzögerung, aber das ist es nicht. Wenn man etwa grundsätzlich angehen will, muss man sich dafür Zeit nehmen.»
Mit offenem Visier
Die neue Direktorin kann Kommunikation. Sie hat in den Niederlanden regelmässig Fernsehauftritte als Kulturvermittlerin absolviert. Während der Coronakrise engagierte sie sich als Fürsprecherin der Kultur.
Demeester spricht auch offen und freundlich über wunde Punkte. Ob «Unlearning» oder «Polyphonie»: Die Belgierin platziert die Buzzwords der zeitgenössischen Museumsarbeit locker im Gespräch und wirkt trotzdem glaubwürdig.
Früher seien Museen Tempel gewesen, unantastbar, der Welt enthoben, sagt Demeester: «Das hat sich in den letzten zehn Jahren geändert.» Heute besässen Museen Expertise, aber sie seien nicht mehr unfehlbar. Auch Museen machten Fehler, sagt die Museumsfrau selbstkritisch. «Und aus diesen Fehlern müssen wir lernen.»
Keine Fehlerkultur in Zürich
Gehört zu einer guten Fehlerkultur nicht auch, sich die Fehler überhaupt erst einzugestehen? Etwas, das in Zürich nach der Bührle-Krise weder Kunsthaus noch Stadt oder Kanton getan haben. Demeester nickt und erläutert die Zwickmühle, in der sie steckt: «Ich würde mich gerne entschuldigen, aber ich fürchte, ich bin nicht die Richtige dazu. Als Neue wirkt das wohl auch billig und sicher zu einfach.»
Umso wichtiger sei ihr, die Konsequenzen aus den Fehlern zu ziehen und gemeinsam mit ihrem Team Veränderungen anzugehen. Das ist schön gesagt, wenn auch noch wenig konkret.
Zeit also für Fakten und Zahlen: Über 380'000 Besucherinnen und Besucher zählte das Kunsthaus Zürich 2021 und auch jetzt bereits im Jahr 2022. Das ist eine enorme Steigerung zu 2020. Kein Wunder: Alle wollten ins Kunsthaus und den neuen Chipperfield-Bau sehen.
Demeester bestätigt: Die Vorgabe von oben lautet, diese Zahlen zu halten. Laut Businessplan der Betreiberin des Kunsthauses, der Zürcher Kunstgesellschaft, soll sie diese Besucherzahlen auch in Zukunft erzielen – auch wenn die Eröffnung längst Geschichte ist.
Quantität ist nicht alles
Ist das zu schaffen? Die Direktorin bleibt die Ruhe selbst. Zahlen und Quantität seien wichtig, sagt sie: «Aber noch wichtiger ist mir Qualität, also die Frage: Wen erreichen wir? Und vor allem: Wen erreichen wir noch nicht?»
Da ist sie wieder: die gute Kommunikatorin. Doch Demeester weiss, dass die Schonzeit für sie als neue Direktorin bald vorüber sein wird. Dann muss sie Lösungen liefern. Die Einarbeitungsphase jedenfalls vermittelt sie bestens.
Vielleicht kommt das Kunsthaus unter der neuen Direktorin ja tatsächlich einen entscheidenden Schritt weiter. Als sie ihren Job am Frans-Hals-Museum angetreten habe, sei das Haus mit der prächtigen Sammlung an niederländischer Malerei aus dem 17. Jahrhundert den Anforderungen der Gegenwart nicht gewachsen gewesen. Wie vermitteln wir den Kolonialismus, sei eine ihrer ersten Fragen gewesen, berichtet Demeester. Muss das sein, war die Antwort.
Dass das viel beschworene «Goldene Zeitalter» und die fantastische Malerei ohne das koloniale Unrechtssystem der Niederlande nie existiert hätten, das ist heute aus der Museumsarbeit in den Niederlanden nicht mehr wegzudenken.
Die Entwicklung, die das Land in den letzten Jahren durchgemacht hätte, sei markant, sagt Demeester. Vielleicht passiert in der Schweiz nun im Umgang mit der eigenen Vergangenheit Ähnliches. Ann Demeester wäre für einen neuen Umgang mit Vergangenheit gewappnet.