Von der Geldkassette über das Tagebuch bis zur Nolde-Grafik: Rund 350 Objekte zeigt das Kunstmuseum Bern in seiner neuen Gurlitt Ausstellung. Die Hauptrolle spielen aber nicht Kunstwerke, die besonders im Bereich des deutschen Expressionismus von beeindruckender Qualität sind. Die Hauptrolle in dieser Ausstellung spielt die Kunst der Vermittlung, die auf durchgängig hohem Niveau betrieben wird.
Kuratiert hat die Schau Nikola Doll, die Leiterin der Abteilung Provenienzforschung am Kunstmuseum Bern. Für die Ausstellungsdramaturgie verantwortlich ist Christoph Stratenwerth.
Die Dornen der Provenienzforschung
Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung ist die Provenienzforschung. Und die ist ein schwieriges Geschäft. Wie sie betrieben wird, wo die Brennpunkte liegen, warum aus viel Forschung dennoch oft keine 100-prozentige Sicherheit folgt, das zeigt die Schau.
Exemplarische Quellen liegen zum Beispiel auf Archivtischen fürs Publikum zur Einsicht bereit, legen Widersprüche offen oder zeigen Probleme auf. Restauratorinnen gewähren Einblick in ihre Arbeit und zeigen, wie umsichtig in den 1930er-Jahren Stempel von Kunstwerken gewaschen oder Archivnummern ausradiert wurden, um die Herkunft von Kunstwerken zu verschleiern.
Deutlich wird durch solche exemplarischen Einsichten, wie dornig die Erforschung der Provenienzen ist, wie oft die Forschenden nicht weiterkommen. Und: wie schwierig es ist, trotzdem zu Entscheidungen zu kommen. Und die Entscheide sind – Achtung Kalauer – entscheidend.
Das Kunstmuseum Bern hat entschieden: Trotz Lücken in der Provenienz wurden zwei Dix-Grafiken den ursprünglichen Eigentümern übergeben. Wie das Kunstmuseum Basel (im Fall Curt Glaser) hat sich auch Bern entschieden, nicht auf einer lückenlosen Beweislage zu bestehen, denn die benachteiligt die Opfer von NS-Verfolgung und ihre Nachkommen.
Ungewisser Umgang mit «Fluchtgut»
23 Gurlitt-Werke werden weiterhin erforscht. Einige davon sind in der Ausstellung zu sehen, etwa Aquarelle von Griebel oder Felixmüller, die vermutlich aus der Sammlung des Dresdner Anwalts Fritz Salo Glaser stammen. Entscheide stehen in diesen Fällen an.
Marcel Brülhart, der am Kunstmuseum Bern für das Gurlitt Dossier zuständig ist, und die leitende Provenienzforscherin Nikola Doll bekräftigten an der Pressekonferenz, dass man auch das heisse Eisen «Fluchtgut» in der Stammsammlung anfassen wolle. Auf Nachfrage sprachen sie von drei konkreten Fällen.
Die «Fluchtgut»-Thematik treibt die Schweiz seit Jahren um. Bekannt ist: Der Schweizer Kunstmarkt blühte ab den 1930er-Jahren. Damals wurden viele Werke verkauft, um die Flucht jüdischer Sammlerinnen und Sammler zu finanzieren. Ob sogenanntes «Fluchtgut» ebenfalls als NS-verfolgungsbedingter Entzug gelten kann, ist in der Schweiz umstritten.
Warten auf Best-Practice-Lösungen
Im Kern geht es um die Frage, wie gerecht die Preise waren, die in solchen Notlagen gezahlt wurden. Das muss für jeden Fall einzeln erforscht und dann beurteilt werden. Und die Entscheide sind haarig.
Die Schweiz wartet weiterhin auf Best-Practice-Lösungen aus einzelnen Museen wie Basel oder Bern. Denn Bewegung in die Sache kommt ausschliesslich durch die Museen. Auf Bundeseben wird hierzulande nichts geregelt: Es gibt keine Kommission für strittige Entscheide, keine verbindlichen Massnahmen, keine Koordination. Daran hat auch der Fall Gurlitt nichts geändert.