SRF: Was ist Ihr bevorzugter Leseort?
Ilija Trojanow: Ich bin extrem viel unterwegs – und lese sehr, sehr viel. Das funktioniert nur, wenn ich wirklich überall lesen kann. Ich lese viel in Zügen, während des Wartens an irgendwelchen Stationen und in Hotels.
Aber zuhause habe ich einen wunderbaren Lesesessel, eines der wenigen Luxusobjekte in meinem Leben.
Haben Sie ein liebstes Buch?
Wenn man so leidenschaftlich für die Literatur lebt wie ich, hat man natürlich sehr viele Lieblinge. Es wäre eine Strafe, ein Buch auswählen zu müssen.
Lesen Sie mehrere Bücher gleichzeitig oder immer ein Buch nach dem anderen?
Fast immer mehrere gleichzeitig, aber nie zwei Romane. Genauso wie ich beim Schreiben fast immer zwei Projekte gleichzeitig verfolge – aber es sind immer Projekte aus ganz unterschiedlichen Genres.
Welches Buch hat Ihnen die Liebe zum Lesen eröffnet?
Ich habe gerade in London im Victoria & Albert Museum eine Ausstellung über «Winnie the Pooh» gesehen. Das war wahrscheinlich eines der allerersten Bücher, bei denen ich diesen Zustand völliger Versenkung erfahren habe.
Diese intime Nähe zu den Figuren in diesem Buch ist mit Sicherheit eine der allerfrühesten Prägungen meiner Liebe zum Lesen.
Das grosse Erzählen habe ich durch ‹Herr der Ringe› kennengelernt.
Dann «Zwiebelchen» von Gianni Rodari: eine Parabel, ein bisschen wie «Farm der Tiere» von George Orwell, nur mit Gemüse und Früchten. Ein unglaublich lustiges Buch!
Ich habe teilweise so lachen müssen, dass ich meinen Eltern gesagt habe, sie müssen aufhören, mir daraus vorzulesen, weil es wehgetan hat.
Das grosse Erzählen habe ich durch Tolkien’s «Herr der Ringe» kennengelernt. Ich habe die Bücher in einem Zug durchgelesen und dann ein zweites Mal. Das war mein Einstieg in das langatmige Alternativwelt-Erzählen, das viele grosse Romane ausmacht.
Bei welchem Buch haben Sie zuletzt laut gelacht?
Bei einem Buch von P.G. Wodehouse – er ist für mich der witzigste Autor, den es jemals gab. Von ihm habe ich bereits mehrmals und gerade neulich wieder, «The inimitable Jeeves» gelesen: Die berühmten Geschichten über den Butler Jeeves, der viel klüger ist als sein Herr.
Sprachwitz, Situationskomik: Ich muss auf fast jeder Seite laut lachen. Und ich glaube, dass das afrikanische Sprichwort «Wer täglich lacht, wird nicht krank» ansatzweise stimmt.
Auf Reisen nehmen Sie möglichst wenig mit. Welche Bücher?
Ich kaufe vor Ort die Literatur des jeweiligen Landes. Wenn ich ankomme, gehe ich in eine Buchhandlung – und nähere mich dem Land durch Romane oder Kurzgeschichten an.
Ein Buch, das Sie immer wieder zur Hand nehmen?
Sammlungen, etwa Gedichtsammlungen, vollständige: Trakl, Celan, Brecht. Mir fehlt die Zeit, die grossen Romane immer wieder zu lesen, obwohl ich das gerne machen würde. Es gibt so viel anderes zu lesen.
Die Bücher, die man nicht beendet, hat oft auch die Gesellschaft noch nicht zu Ende gelesen.
Wenn man, so wie ich, bekannt und berüchtigt ist für eine obsessive Recherche, dann ist jedes geschriebene Buch verbunden mit der Lektüre von mehreren Dutzend Büchern. Das frisst schon einen Grossteil meiner Lesezeit auf.
Haben Sie eine Leseleiche – ein Buch, das Sie niemals beenden?
Abgesehen von den berühmten, die jeder hat, wie etwa «Finnegans Wake» von James Joyce? Die Bücher, die man nicht beendet, sind sehr oft Bücher, die gesamtgesellschaftlich noch nicht zu Ende gelesen wurden.
Ich verschenke gerne ausgefallene Reiseberichte.
Es gibt eine Reihe von epochalen, grossen Werken, die, glaube ich, fast niemand ganz zu Ende gelesen hat. Typische Beispiele sind die grossen Heiligentexte. Von allen Weltreligionen habe ich alle wesentlichen Bücher angelesen, aber kein einziges von A-Z durchgelesen.
Ein Buch, das Sie gerne verschenken?
Ausgefallene Reisebeschreibungen wie «Die Autonauten auf der Kosmobahn» – das letzte Buch von Julio Cortázar.
Das ist ein unglaublich schräges Buch, in dem der Autor von Paris nach Marseille fährt. Für diese Strecke braucht er 30 Tage: Denn bei jeder Raststätte hält er. Und an jeder zweiten Raststätte verbringt er die Nacht. Eine kognitive Schule: Wie kann man an einem vermeintlich uninteressanten Ort eine aufregende Welt im Kleinen entdecken?
Wenn ich Bücher verschenke, dann gerne auch jene, die einem als Objekt ansprechen: Schön gemachte Bücher wie die aus der «Anderen Bibliothek».
Ein Buch, dem Sie mehr Leser wünschen?
Fast alle afrikanischen Autorinnen und Autoren könnten viel mehr gelesen werden.
Das Gespräch führte Markus Tischer.