Die Kleider des Herrn Zogg
Eines Morgens, als der Wecker läutete, stand Herr Zogg einfach nicht auf. Dabei hatte er ihn selbst gestellt, auf 7 Uhr, wie immer, denn um 8 Uhr musste er im Büro sein. Es wurde viertel nach 7, Herr Zogg schlief weiter, es wurde halb 8, Herr Zogg schlief immer noch, es wurde viertel vor 8, und Herr Zogg schnarchte sogar.
«Kameraden», sagte da die Hose zu den andern Kleidern, die über dem Stuhl hingen, «wir müssen wohl.» Da kroch die Unterhose in die Hose, Unterhemd und Hemd stopften ihre Enden in die beiden hinein, die Krawatte schlang sich um den Hemdkragen, die Jacke schob sich über das Hemd, die Socken stellten sich in die Schuhe, und dann gingen sie alle die Treppe hinunter vors Haus, fuhren im Bus zum Büro, in dem Herr Zogg arbeitete, und nahmen dort den Platz hinter seinem Pult ein. Immer wenn jemand hineinschaute, wühlten sie in irgendeinem Stoss Papier, und als Herr Zogg gegen Mittag im Geschäft vorsprach und nur ein Badetuch um die Hüften gewickelt hatte, wollte man ihn nicht kennen und schickte ihn sofort wieder weg.
An diesem Tag war Zahltag, und sobald die Kleider das Geld bekommen hatten, beschlossen sie, einmal richtig Ferien zu machen, und verreisten noch am selben Tag nach Italien.
Herr Zogg aber musste sich eine andere Arbeit suchen. So wie er angezogen war, fand er nur eine Stelle als Bademeister und riss fortan Eintrittskarten ab, leerte Abfallkübel, rettete Ertrinkende und fühlte sich soweit ganz gut, nur in der Garderobe arbeitete er nicht so gern, denn beim Anblick der vielen aufgehängten Kleider war es ihm immer ein bisschen unheimlich.
Die fünf «Früh-Stücke» von Franz Hohler
Autor Franz Hohler ist einer von sechs «Früh-Stück»-AutorInnen. Die «Früh-Stücke» sind kurze Auftritte von Autorinnen, Komikern, Kabarettisten und Slam Poetinnen im Programm von Radio SRF 2 Kultur. Montag bis Freitag um 6.10 Uhr.