Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an die weissrussische Journalistin und Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch und damit zum 14. Mal an eine Frau. Nach Worten des Nobelpreis-Komitees erhält sie die Auszeichnung «für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt».
«Fantastisch», sei das Wort gewesen, mit dem Alexijewitsch auf die telefonische Nachricht reagiert haben soll. Und: Es sei eine Ehre und «ganz gross, diesen Preis zu bekommen.»
Die Auszeichnung aus Schweden ist für die Weissrussin der prestigeträchtigste Preis ihrer Laufbahn. Dennoch ist er nur eine in einer Reihe von Ehrungen, die Alexijewitsch bereits zuteil geworden sind. 2013 etwa hat sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Empfang genommen.
Auszeichnung als politisches Zeichen
Swetlana Alexijewitsch war bereits seit Jahren als Kandidatin für den Nobelpreis gehandelt worden. So ist auch SRF-Literatur-Redaktorin Esther Schneider nicht überrascht. Dennoch sei es ein mutiger Entscheid, da er ein klares politisches Zeichen setze, «nicht zuletzt deswegen, weil Alexijewitsch eine engagierte Bürgerin ist, die mit Kritik zum Beispiel an Russland und an Putin nicht zurückhält.»
Esther Schneider sieht Alexijewitschs Verdienst vor allem im Zusammentragen und Analysieren grosser Gedanken- und Gefühlswelten: «Sie führte Hunderte von ganz unterschiedlichen persönlichen Gesprächen mit Menschen und machte daraus ganz grosse Literatur.» Sie gebe Menschen eine Stimme, die sonst kein Gehör fänden.
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Erschreckende Realität
Weltweit berühmt wurde sie 1997 mit «Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft». In akribischer Arbeit eignete sie sich die Fakten rund um den Supergau an, fand so aber nur bedingt zum Verständnis. Erst als sie den Ort des Geschehens sah, die tote Erde, als sie mit den Menschen in den verlassenen Dörfern sprach, erkannte sie: «Wir Weissrussen sind die ersten Menschen, die eine ganz einzigartige Erfahrung haben: Wir brauchen das, was Apokalypse genannt wird, nicht mehr zu erproben.»
Als 2011 die zweite Auflage des Buches erschien, war Alexijewitschs Untertitel «Eine Chronik der Zukunft» zur erschreckenden Realität geworden: Im März des Jahres hatte sich die Nuklear-Katastrophe im japanischen Fukushima ereignet. Ihre Bücher sind inzwischen in 35 Sprachen übersetzt worden. Auf Deutsch erschienen zuletzt zwei Werke, in denen sie Frauen und Kindern, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, Aufmerksamkeit zukommen lässt (s. Box).
«Dissidentische Neigungen»
Swetlana Alexijewitsch sorgte bereits nach ihrem Journalistik-Studium als Korrespondentin eines Regionalblattes für Aufmerksamkeit. Eine Minsker Zeitung wollte sie engagieren, konnte aber nicht verhindern, dass die junge Alexijewitsch «wegen ihrer dissidentischen Neigungen» zu einer kleinen Provinzzeitung versetzt wurde.
Nur ein Jahr später holte man sie wieder nach Minsk. Später wurde sie Redaktorin bei der Literaturzeitschrift «Neman», dem russischsprachigen Organ des Schriftstellerverbandes von Weissrussland. Swetlana Alexijewitsch lebt heute als freie Schriftstellerin in Minsk.
200 Autoren waren weltweit für den Literatur-Nobelpreis nominiert. Ein Nobelpreis für Literatur in russischer Sprache ist bisher sechs Mal vergeben worden. Am häufigsten ging dieser Preis an englischsprachige Autoren.