Verdämmernde Displays in schwacher Beleuchtung, Casting-Opfer im Billig-TV, Hochseil-Artisten im Absturz. Gefahren und Gefährdungen, wohin man blickt.
Es gibt viele davon, in den Traumszenen, die Botho Strauss in seinen neuen «Höhlenbildern» entwirft. Abstürze und Untergänge zumeist, die für sich stehen und doch miteinander verbunden sind.
Treu ist er seinen Themen und Abneigungen geblieben, seit dem berühmten «Paare, Passanten» oder dem ebenso berühmten Essay «Anschwellender Bocksgesang».
Scheinalternativen der modernen Öffentlichkeit
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Konservativ war und ist seine Rede vom Verlust des Privaten und dem Vorrang der Gegenwart über die übrige Zeit.
Satirisch greift er all die gehandelten Scheinalternativen der modernen Öffentlichkeit auf, das binäre ja oder nein, das zu allem gefragt ist, vom Wunschkind bis zum neuen Bedarf an Eliten.
«Ich glaube, dass das ungeklärt bleiben sollte», ist Strauss' ironische Antwort. Vieles soll ungeklärt bleiben, wo die Fragen illusionär sind und die Antworten nicht mehr bewirken als einen gestaltlosen Meinungsbetrieb zu befeuern.
Parallelwelten und Mythologien
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In solchen Szenen, oft surreal getönt, wagt Strauss den Abstieg unter die Oberfläche. Und er findet Parallelwelten zur digitalen Gegenwart, durchsetzt mit Mythologie.
Das ist manchmal schwer zu lesen, nimmt seiner Gegenwartskritik aber den schnellen Effekt. Transparenz, Beschleunigung und schnelle Verfügbarkeit, die Leitmotive des Jetzt stehen bei Strauss unter Vorbehalt.
Beschreibungen, die schmerzen
In Träumen, Dialogen, Genreszenen und Aphorismen formuliert er Einwände, die mal überzeugen, mal weniger. Gelungen sind die Szenen, in denen die Darstellung schon Kritik ist.
Wie bei jenem Casting-Paar, das vollends ausser Fassung gerät, als der grosse Auftritt im Quäl-TV abgesagt wird.
Reminiszenzen an die grossen Bühnenerfolge
Plötzlich ist auch das Bühnengeschehen wieder da, dem der Dramatiker Botho Strauss seine grössten Erfolge verdankt. Szenen wie aus «Gross und klein», dem Bewusstseinsdrama der Bundesrepublik.
Oder einem Chauffeur im Bus, der unter Reimzwang leidet, wie «Kalldewey» in Strauss gleichnamiger Farce. Mal dürfen die Granden des deutschsprachigen Theaters selbst zurück auf die Bühne. Hellmuth Lohner, Ewald Balser. Ihr Auftritt aus der Unterwelt gerät zum Pastiche:
«Alles vorbei? – Alles vorbei. Ich muss sagen bei Licht besehen, niemand mehr. – Da kann man nichts machen. – Dann machen Sie nichts. – Es wird sich schon was ergeben. – Es hat sich jedenfalls immer etwas ergeben ...»
Erforscher von Dünnhäutigkeiten
Von solchen Reminiszenzen und leicht kaschierten Selbstzitaten gibt es einige, denen man anmerkt, wie lange der Autor die Gegenwart schon mit seinen Idiosynkrasien und Dünnhäutigkeiten verfolgt.
Am Rand, in der Uckermark, in der Strauss lebt, liegt der Fluchtpunkt seiner Einsprüche. Er hat sich eingerichtet in der Distanz, aber saturiert wirkt seine Prosa nicht.
Sie will verändern, auch wenn sie lange nicht mehr an Veränderung glaubt. Die künstliche Welt, vor der Botho Strauss sich fürchtet, ist schon da. Oder mit seinen Worten: «Die Zukunft besitzt nur noch wenig Futur.»
Sendung: 4.11.2016, SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 16:50 Uhr.