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Schriftsteller Lukas Bärfuss hält Schweiz Spiegel vor
Aus Samstagsrundschau vom 03.08.2019. Bild: Keystone
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Lukas Bärfuss im Interview «Es gibt keine übergreifende Schweizer Kultur»

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«Die Schweiz ist des Wahnsinns», schrieb Lukas Bärfuss 2015. Noch immer kritisiert der Schriftsteller sein Land hart, laut und oft – und polarisiert dabei. Im Juli erhielt er den Georg-Büchner-Preis, was ihm fortan noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen dürfte.

Aber wie blickt der Schweizer Autor heute auf die Schweiz? Bärfuss über Gemeinsamkeiten ohne gemeinsame Sprache.

Lukas Bärfuss

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Nach der Matur absolvierte Lukas Bärfuss eine Ausbildung zum Buchhändler. Seit 1997 lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller in Zürich. 1998 begründete er die freie Theatergruppe 400asa mit. Für sein Stück «Der Bus» wurde er 2005 vom «Theater heute» zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt.

2008 erschien sein erster Roman «Hundert Tage». Für sein literarisches Schaffen und im Besonderen für seine Theaterstücke erhielt er 2013 den Berliner Literaturpreis. 2019 wurde ihm der Georg-Büchner-Preis verliehen.

SRF: Letzte Woche feierte die Schweiz Geburtstag. Würde Ihnen etwas fehlen, wenn es den Nationalfeiertag nicht mehr gäbe?

Lukas Bärfuss: Nicht viel. Ich habe noch erlebt, wie der 1. August zum Feiertag wurde. Das war eine Initiative der extremen Rechten. Ich fand ihn damals unnötig und finde das noch immer. Für mich ist es eine immergleiche «Zwangsübung», deren Bedeutung nicht über einen freien Tag hinausgeht.

Braucht die Schweiz einen solchen Tag nicht zur Identitätsstiftung?

Dafür gäbe es andere Daten: die Bundesverfassung von 1848 etwa oder das Frauenstimmrecht von 1971. Aber das Rütli und der Bundesbrief stiften für mich keinen Zusammenhalt.

Dass wir uns immer wieder vergewissern müssen, eben doch zusammenzugehören – ohne gemeinsame Kultur: Das ist das Wesen der Schweiz.

Allerdings: Die Gründung der Schweiz war ja mit einem Krieg und einer Niederlage verbunden. Diese alten Wunden wollte man wohl bewusst nicht in Erinnerung behalten.

Worum ginge es in einer 1.-August-Rede von Ihnen?

Auf jeden Fall nicht um Feuerwerk und Bratwürste.

Sie schrieben mal, Touristen würden die Schweiz genau wie früher nur wegen der Natur, aber nicht wegen der Kultur besuchen. Sprechen Sie der Schweiz eine Kultur ab?

Die Frage ist doch: Welcher Schweiz? Wir haben viele lokale Kulturen. Aber es gibt keine übergreifende Schweizer Kultur. Das ist die Identität und das Wesen der Schweiz: Dass wir uns immer wieder vergewissern müssen, eben doch zusammenzugehören, ohne gemeinsame Sprache, ohne gemeinsame Kultur. Das muss man im Alltag leben, da bringt ein 1. August nicht viel.

2015 holten Sie in einem Artikel in der FAZ zur Generalabrechnung mit der Schweiz aus. Was war der Auslöser?

Ich erfuhr zufällig, dass Christoph Blocher sich eine Ausgabe der Zeitschrift «DU» gekauft hatte, um seine Kunstsammlung zu präsentieren, ohne dass das irgendwo kenntlich war. Das brachte mich auf die Palme. Denn journalistische Unabhängigkeit ist eine absolute Notwendigkeit für eine Demokratie.

Am selben Tag machte ich meinen Einkauf in der Migros und die freundliche Kassiererin fragte, ob ich «Swissmania» sammle. Mania, eine Psychose, das schien mir treffend. Ich kam nach Hause und schrieb den Artikel in weniger als einer Stunde.

Damals waren die rechten Kräfte im Aufschwung. Wie viel persönlicher politischer Verdruss steckte darin?

Es ging mir nicht um die Rechte, man kann politisch unterschiedliche Ansichten haben. Was mich störte, war das allgemeine Schweigen gegenüber der zunehmenden Ideologisierung.

Ich habe hohen Respekt vor Menschen, die politisch tätig sind. Aber mir fehlt die Geduld und die soziale Kompetenz dafür.

Das habe ich von Walter Benjamin gelernt: Wenn man in ideologischen Grabenkämpfen gefangen bleibt, muss man zwischendurch zur Polemik greifen, um die Fronten aufzulösen.

Das ist mir, glaube ich, gelungen: Über viele Dinge, die ich erwähnt habe, wurde nach dem Artikel diskutiert. Und vieles, vor dem ich warnte, hat sich bewahrheitet, etwa der Zustand der Medien.

Wenn Sie die Schweiz mitgestalten wollen: Wieso gehen Sie nicht ins Parlament?

Ich gestalte sie auf andere Art mit. Ich habe hohen Respekt vor Menschen, die politisch tätig sind. Aber mir fehlt die Geduld und die soziale Kompetenz dafür.

Der politische Verdruss: Treibt er sie an, sich als Gesellschaftskritiker zu exponieren?

Ich bin alles andere als verdrossen! Mich einzumischen, bereitet mir Freude. Ich sehe es nicht nur als unser Recht, sondern auch als unsere Verpflichtung, als Menschen in diesem Land.

Freiheit ist etwas, das man in Anspruch nehmen muss – sie ist einem nie einfach gegeben.

Früher wurde für diese Freiheit gestritten. Heute muss man sie pflegen und sich für sie einsetzen, wenn sie mehr sein soll als tote Buchstaben. Sonst hat man es nicht verdient, frei zu sein. Freiheit ist etwas, das man in Anspruch nehmen muss – sie ist einem nie einfach gegeben.

Gibt es von Lukas Bärfuss auch einmal Lob für die Schweiz?

Es gibt kein grösseres Lob als Kritik.

Das fühlt sich aber für viele nicht so an.

Das liegt auch an der besonderen Empfindlichkeit der Schweizerinnen und Schweizer. Man nimmt Kritik häufig persönlich, weil man sich später wieder in der Migros sieht und grüssen muss.

Dabei ist Kritik doch die grösste Anerkennung. Sie zeigt, dass man etwas für wichtig nimmt, verbessern will und dass man genau hinsieht, mit Sorgfalt.

Ich kämpfe dafür, dass wir in der Schweiz auch eine geistige Infrastruktur haben, in der wir wachsen können.

In meinem Metier werde ich auch selbst ständig kritisiert. Ich will das auch. Aber das hat leider nachgelassen. Durch die Veränderung im Journalismus hat die Zahl der Literatur- und Theaterkritiker abgenommen. Eine Stille macht sich breit. Das ist nicht gut.

Sie werden durch den Büchner-Preis nun in eine Reihe gestellt mit Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Adolf Muschg. Wie fühlt sich diese Gesellschaft an?

Leider sind es nur Männer, dabei sollten Frauen auch in dieser Reihe stehen. Mariella Mehr etwa war für mich sehr wichtig. Allgemein ist der Schweizer Bezug für mich nicht so wichtig. Auch wenn gegen die drei Genannten nichts einzuwenden ist: Meine Bezüge sind universeller.

Was löste der Georg-Büchner-Preis bei Ihnen aus? Macht er Sie stolz?

Meine Bücher tanzten im Regal, als sie davon hörten. Ich freue mich für die Bücher! Und für die Menschen, die mich begleitet haben: die Theaterleute, etwa Barbara Frey oder Ulrich Khuon, meine Verleger, mein geistiges Umfeld.

Ich bin stur, fleissig – die Dinge, die halt einen Schweizer ausmachen.

Ich kämpfe daher dafür, dass wir in der Schweiz nicht nur eine harte Infrastruktur haben, auf die wir uns verlassen können, die guten Züge und Trams. Sondern auch eine geistige Infrastruktur, in der wir wachsen können.

Sie kommen aus einem schwierigen Zuhause, haben die Schule abgebrochen, hätten oft auf die schiefe Bahn geraten könne. Was für einen Schutzengel hatten Sie?

Schwer zu sagen, was mich getragen hat. Vielleicht ein gewisses Talent für Freundschaften. Ich habe viele Leute um mich herum krank werden oder sterben sehen, aber ich nahm das Leben immer als Geschenk wahr.

Letzten Endes hatte ich Glück. Mir halfen meine Sekundärtugenden: Ich bin stur, fleissig – die Dinge, die halt einen Schweizer ausmachen. (lacht)

Das Gespräch führte Eveline Kobler.

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