Beckenbauer bleibt als «Kaiser» und «Lichtgestalt» in Erinnerung. Er sei aber auch verführbar und gaunerisch gewesen, sagt Schriftsteller Jürgen Roth. Wenn man aber den ganzen überhöhten «Medienquatsch» ausblende, bleibe von Beckenbauer dennoch eines: Er war ein einzigartiger, wunderbarer Fussballer.
SRF: Warum war Beckenbauer ein herausragender Fussballer?
Jürgen Roth: Weil er den Ball nicht gedroschen hat, sondern gezupft und gestreichelt, und manchmal gebolzt.
Beckenbauer war die erste Pop-Figur des Fussballs.
Er konnte beides, war brachial und zart zugleich. Man sieht das zum Beispiel in wunderbaren Videos von der WM 1966 in England auf YouTube.
Beckenbauer hat über den Sport hinaus gestrahlt. Warum hat er diesen Nimbus?
Weil er ein klassischer Aufsteiger der alten Bundesrepublik gewesen ist. Er kam aus München-Giesing, einem Arbeiterviertel. Er ist aus ärmlichen Verhältnissen zum Weltstar geworden. Das ist heute, glaube ich, nicht mehr denkbar.
Er war gleichzeitig undeutsch, weltläufig, grazil, anmutig. Ich glaube, was er verbunden hat, hat viele Sehnsüchte gestillt.
Wird er auch romantisiert? Beckenbauer steht ja auch für die Kommerzialisierung des Fussballs wie kaum ein anderer.
Das ist richtig. Er war die erste Pop-Figur des Fussballs. Er war der erste Fussballer weltweit, der einen Manager hatte. Beckenbauer ist auch ein Medienbild gewesen. Das berühmte Bild von 1990, als er durch das Stadio Olimpico wandelte, hat ihn zur Ikone gemacht.
Das war ein grosser Medienquatsch. Beckenbauer hat das gerne hingenommen und wusste es zu verwerten. Er war beides: ein fantastischer Fussballer und ein Produkt der Medienindustrie.
Hat er in diesem Punkt den Fussball verändert?
Ich glaube schon. Er hat den Fussball geöffnet gegenüber vielen Bereichen in der Gesellschaft, die vorher skeptisch waren.
Intellektuelle hatten keinen Fussball geguckt, Beckenbauer war der Erste, der in den Feuilletons besprochen wurde. Deswegen war er auch eine Art Kulturfigur. Er hat den Fussball mit einem Nimbus von Kunst versehen.
Ist das passiert, weil Beckenbauer so gut war? Oder so erfolgreich?
Er war erfolgreich und gut zugleich. Beckenbauer hat einen Stil geprägt, den man bis heute keinem anderen Fussballer zuschreiben kann.
Beckenbauer hatte auch gaunerische Seiten.
Wie er über den Platz gelaufen ist, wie er den Ball geführt, die Pässe geschlagen hat, auch mit welcher Nonchalance und Arroganz er das teilweise gemacht hat – das war einzigartig. Das Tänzerische und das Zarte, das war grazil, schön anzuschauen. Das hat ihn interessant gemacht.
Man hat ihn «Kaiser» und «Lichtgestalt» genannt. Sind das Übertreibungen?
Natürlich, das ist Medienquatsch. Der «Kaiser» ist entstanden aufgrund einer Fotografie im Stern, wo er neben der Statue von Franz Joseph I. steht.
«Lichtgestalt» ist natürlich auch Unfug. Beckenbauer war ein ganz einfacher Mensch, der verführbar war. Er hatte auch gaunerische Seiten, weil Geld verdirbt. Das hat man an Franz Beckenbauer sehr genau gesehen, ich werfe nur das Stichwort «WM 2006» ein.
Diese Medienbilder haben mit der Figur Franz Beckenbauer wahrscheinlich wenig zu tun, aber er hat das Spiel mitgemacht.
Was bleibt für Sie von Beckenbauer?
Grossartige Spiele. Das WM-Finale 1974, das er gewonnen hat. Paul Breitner hat in einer ARD-Dokumentation gesagt: Ohne Beckenbauer hätten sie dieses Endspiel gegen die Niederlande in München verloren, Beckenbauer habe die Mannschaft zusammengerissen. Er war auch ein Anführer, das darf man vielleicht sogar als Deutscher sagen.
Das Gespräch führte Michael Luisier.