In «Monique bricht aus» zeigt sich Édouard Louis literarisch avanciert. Er erzählt mit einer Leichtigkeit, die überrascht. Daher nutzt sich auch sein Erfolgsrezept nicht ab, ausschliesslich über sich und seine Familie zu schreiben.
Édouard Louis schreibt radikal autobiografisch: Er spricht alles aus – auch wenn es weh tut. Diese Technik tritt jedoch in seinem sechsten Buch «Monique bricht aus» in den Hintergrund. An die Stelle von Zorn, Selbstentblössung und Anklage, wie in seinem Weltbestseller «Das Ende von Eddy», tritt nun Selbstbefragung und Anteilnahme.
Stark und stimmig
Kraftvolle Szenen, natürliche Dialoge und wertvolle Reflexionen fügen sich in «Monique bricht aus» harmonisch und lustvoll zu einem Ganzen. Man merkt beim Lesen, dass Édouard Louis nicht aus einer Dringlichkeit heraus schreibt, sondern aus reinstem Vergnügen. Er hat das Buch auf Wunsch seiner Mutter geschrieben.
Auf 160 Seiten zeichnet Édouard Louis das Porträt einer Mutter, die sich zum zweiten Mal in ihrem Leben aus einer gewalttätigen Beziehung mit einem Alkoholiker befreien muss. Dieses Mal eilt ihr aber der 28-jährige Sohn zu Hilfe. Jener Sohn, den sie Jahre zuvor mit ihrem Schwulenhass erniedrigte. Édouard Louis selbst ist in grosser Armut im Norden Frankreichs aufgewachsen. Das Klima zu Hause beschreibt der Autor in seinen Büchern als rassistisch und homophob.
Die Geschichte einer Entwicklung
Bereits in «Die Freiheit einer Frau» (2021) thematisiert Édouard Louis das Leben seiner Mutter und setzt dieses mit seinem eigenen in Beziehung. Doch in «Monique bricht aus» erweitert und aktualisiert der heute 32-jährige Franzose die Geschichte seiner Mutter. Er beschreibt die jüngste Metamorphose einer durch ihre Lebensumstände gefangenen Frau zu einem glücklichen, humorvollen und selbstbestimmten Menschen.
Der Ich-Erzähler, der den gleichen Namen wie der Autor trägt, befindet sich als «Writer in Residence» in Athen, als er mitten in der Nacht einen Anruf von seiner verzweifelten Mutter erhält. Im Hintergrund hört er die Stimme ihres Partners, der die Mutter aufs Heftigste beschimpft. Weinend erklärt die Mutter ihm, sie wisse auch nicht, wieso sie immer an Männer gerate, die wollen, dass sie leidet. Schliesslich fragt sie ihren Sohn: «Bin ich denn so ein schlechter Mensch?»
Von Scham zu Selbstbestimmung
Die Scham der Mutter, immer wieder gewalttätigen Männern zu verfallen, zieht sich als roter Faden durch «Monique bricht aus». Denn Freiheit und Selbstbehauptung muss gelernt werden, wenn man sie nie erfahren hat. Daraufhin unterstützt der Sohn seine Mutter in ihrem Befreiungskampf. Er organisiert aus der Ferne ein Taxi, das Monique in Sicherheit bringt. Und Monique bricht mit 55 Jahren in ein selbstbestimmtes Leben auf.
«Monique bricht aus» ist eine zutiefst ergreifende Lektüre. Es ist die Geschichte einer doppelten Metamorphose. Nicht nur die Mutter wandelt sich, sondern auch die Qualität der Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Aus Lieblosigkeit wird Freundschaft. Das zeigt Édouard Louis Buch eindrücklich auf.