Manch hipper Grossstadtmensch träumt heute vom Landleben. Die Sehnsucht nach Erde und Naturwolle, nach dem einfachen Leben in der Natur liegt im Trend. Man verspricht sich davon mehr Bodenhaftung, weniger Materialismus, aber auch neue Lebensmodelle und Achtsamkeit.
Doch was steckt dahinter, wenn erschöpfte Karrieremenschen auf dem Land nach einer neuen Existenzweise suchen? Liebevoll und mit bissiger Selbstironie leuchtet Lola Randl in ihrem ersten Roman «Der grosse Garten» die paradoxen Begehrlichkeiten des sogenannten «postkapitalistischen» Menschen aus.
Grossfamilie zieht aufs Land
Lola Randl ist selbst so ein modischer Grossstadtmensch. Vor einigen Jahren ist die Münchner Filmemacherin mit ihrer Familie in die Uckermark im Nordosten von Deutschland gezogen.
Eine Gegend, die vor allem dafür bekannt ist, dass es dort nicht viel gibt: nicht viele Menschen, nicht viel Arbeit, nicht viel Kultur.
Hier probt sie mit ihrer Grossfamilie, zu der neben Mann und Kind auch ihre Mutter und ein Liebhaber gehören, das alternative Leben. Dieses Experiment ist auch Gegenstand ihres Buches.
Der titelgebende «grosse Garten» ist dabei Metapher für die Suche nach dem verlorenen Paradies. Er ist aber auch ein konkretes Projekt, das sich die Autorin als therapeutische Massnahme verordnet hat.
Pflanzen lassen den Kopf hängen
Doch bald muss sie feststellen, dass so ein Garten sehr viel Arbeit macht und Wissen voraussetzt. Ihr aber fehlt es an Geduld: «In einer Nacht, als alle schliefen, habe ich im Internet einfach alle Pflanzen bestellt, die ich mir wünsche.»
Nach wenigen Wochen gehen die Pflanzen ein, weil sie ohne Rücksicht auf Bodenbeschaffenheit und Lichtverhältnisse eingepflanzt wurden.
Hipster setzen sich in Szene
Randl zeigt, wie sich der urbane Hipster auf dem Land lächerlich macht. Denn hinter dem ökologischen Getue zeigt sich beim genaueren Hinschauen vor allem der Wunsch nach Selbstdarstellung.
Ja, man möchte die alten Schweinerassen retten, man möchte die Kartoffeln von Hand ernten und die Wolle selber spinnen. Vor allem aber möchte man sich dabei wirkungsvoll in Szene setzen.
Facebook kommt ins Dorf
Wie die scheinbare «postkapitalistische» Lebensweise den kapitalistischen Kreislauf sogar weiter antreibt, zeigt die Episode über den amerikanischen «Action Weaver», der eines Tages ins Dorf kommt.
«Normalerweise webt er bei Facebook. Mit einer möglichst primitiven Webtechnik sollen die Mitarbeiter in Kalifornien, die sonst nur den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, mal was anderes machen, und weil das Weben und das Web ja irgendwie verwandt sind, sollen sie nebenbei auch noch die Ursprungsidee des Webs begreifen, oder sie sollen gar nichts begreifen und einfach glückliche Mitarbeiter sein, die bessere Ideen haben als unglückliche Mitarbeiter.»
Richtig gut wird der Roman aber erst dadurch, dass Randl sich von einer Einsicht nicht erschüttern lässt: «Jede menschliche Ordnung (Sozialismus, Demokratie, Diktatur, Ehe etc.) ist unperfekt, also irgendwie unausgegoren.» Warum also sollte man es nicht trotzdem versuchen?