Mit 25 Jahren veröffentlichte die US-Amerikanerin Emma Cline ihr beeindruckendes Debüt «The Girls»: die Geschichte einer Jugendlichen in den Fängen einer brutalen Sekte. Der Nachfolgeroman «Die Einladung» ist auf den ersten Blick weniger spektakulär, rechnet aber genauso schonungslos mit dem amerikanischen Traum ab.
Das Skandalöse war schon in «The Girls» zweitrangig. Die bestialischen Morde einer Hippiesekte, angelehnt an jene von Charles Manson 1969 in L.A., bildeten nur ein Echolot. Mit ihm sondierte Emma Cline das Leben einer 14-Jährigen ohne festen Boden unter den Füssen.
Ähnlich tut sie es mit dem zwielichtigen Job ihrer jungen Protagonistin in «Die Einladung». Alex hat studiert, wohnt in einer WG in New York, ist smart, hübsch, aber ohne Perspektive. Sie schlägt sich als Escort durch. Nicht Sex steht im Zentrum, sondern ein Spiel mit Illusionen: Alex ist, was immer die Männer wünschen, diese bieten ihr temporäre Teilhabe an ihrem Luxusleben.
Gekauft und verstossen
«Die Einladung» zeigt Alex am Punkt, an dem alles den Bach runtergeht: Sie hat kaum noch Kunden, wird aus der WG geschmissen, ein ehemaliger Liebhaber erpresst sie. Der Mann, der sie aktuell als Begleitung auf Zeit unterhält, wirft sie nach einem Fauxpas aus dem luxuriösen Sommeranwesen auf Long Island raus.
Ihr bleibt nichts anderes übrig, als die geschenkten Edelklamotten zusammenzupacken und zu verschwinden. Kurz überlegt sie, den ganzen Plunder zurückzulassen, entscheidet sich dann aber um: «Notfalls könnte sie ein bisschen was von dem Zeug verkaufen. Es war dumm gewesen, die Preisschilder zu entfernen. Anzunehmen, dass irgendetwas von dem Ganzen von Dauer sein würde.»
Existentielle Horrorstory
Alex ist keine Opferfigur, sondern eine Wiedergängerin von Tom Ripley. Wie Ripley wird sie blitzschnell skrupellos, wenn es ihren Zwecken dient. Sie will nicht wie eine defekte Ware zurück nach New York geschickt werden, sondern die sechs Tage bis zur Sommerendparty ihres Kunden ausharren und ihn zurückerobern. Es werden albtraumhafte Tage.
Emma Cline bezieht sich in ihrem Roman auf eine berühmte Erzählung von John Cheever, dem unübertroffenen Protokollanten amerikanischer Lebens- und Abstiegsängste. Cheevers «Der Schwimmer» kippt vom Jux in die maximale Beklemmung.
Am Ende steht der Mann, der von einer sonntagnachmittäglichen Party durch alle Swimmingpools seiner Nachbarschaft nach Hause schwimmen will, vor dem Verlust sämtlicher Gewissheiten seines Lebens. Für sie die perfekte existentielle Horrorstory, so Cline in einem Interview.
Universeller Albtraum
Auch «Die Einladung» ist eine existentielle Horrorstory. Sechs Tage schlägt sich Alex ohne Obdach und ohne Geld in den Hamptons, der Reichenhochburg von Long Island, durch. Verbissen hält sie am Ziel fest, in altem Glanz auf der Party ihres Kunden zu erscheinen. Wie John Cheevers verzweifeltem Schwimmer entgleitet ihr zunehmend die Welt.
Der Roman entwickelt einen unheimlichen Sog. Falsche Realitäten auf beiden Seiten: hier eine haltlose junge Frau ohne Geschichte, die sich wie ein Chamäleon an die Männer anpasst, die sie kaufen. Dort die Superreichen mit ihren privaten Stränden und Personal, das unsichtbar für reibungslosen Luxus sorgt.
Die Abgründe, die sich dabei auftun, schildert Emma Cline scharf und so schillernd, dass der amerikanische Albtraum etwas Universelles bekommt.