Eigentlich kommt er vom Theater. All sein Können hat er in die Inszenierung der «gelenkten Demokratie» gesteckt. Wladimir Baranow heisst dieser Chefstratege Putins in einem beklemmend aktuellen Roman.
Die Figur ist einer realen Person nachempfunden: Wladislaw Surkow war von 2013 und 2020 Putins persönlicher Berater Putin tritt als Figur mit echtem Namen auf. Ebenso wie die Oligarchen der ersten Stunde – Boris Beresowski und Michail Chodorkowski und viele andere Personen der Zeitgeschichte.
Putin und die Spin-Doktoren
Giuliano da Empoli spannt den Bogen seiner Erzählung vom Fall der Sowjetunion bis kurz vor den Ukrainekrieg. Er schildert, wie Wladimir Putin von Spin-Doktoren aufgebaut wird.
In jener Zeit des Raubtierkapitalismus mit dem müden Präsidenten Boris Jelzin soll mit dem grauen KGB-Mann wieder eine Vertikale der Macht errichtet werden. Damit erzählt der Roman von den Erfindern des Putinismus.
Die Handlung erstreckt sich über eine Nacht. In einer Villa in der Nähe Moskaus lebt die besagte Romanfigur Baranow. Einem französischen Wissenschaftler schildert er dort, wie Putin an die Macht gekommen und an der Macht geblieben ist.
Bannon und andere Berater
Mit Macht und Propaganda kennt Giuliano da Empoli sich aus. Der schweizerisch-italienische Politikprofessor lehrt Politikwissenschaft in Paris und hat jahrelang den früheren italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi beraten. Für seinen Roman hat er sich intensiv in die Gedankenwelt von Putin und dessen Berater eingefühlt.
Bekannt wurde da Empoli mit dem Sachbuch «Ingenieure des Chaos». Darin analysiert er die Strategien, mit denen Rechtspopulisten wie Donald Trump und dessen Medienberater Steve Bannon demokratische Gesellschaften zu destabilisieren suchen.
Über Putin und dessen Berater habe er zunächst einen Essay schreiben wollen. Dann habe er festgestellt, dass er zu viele Lücken habe. So versuchte er der Wahrheit näher zu kommen, indem er eine fiktive Figur erfand.
Der Sachbuchautor als Romancier
«Der Magier im Kreml» ist klassisch erzählt, in der Tradition französischer Polit-Memoiren. Die Konstruktion der Rahmenhandlung mag schlicht erscheinen. Dennoch liefert da Empoli einen clever gebauten Pageturner.
Erschienen ist das Buch im französischen Original bereits letzten Frühling. Durch den Ukrainekrieg erhielt es zusätzliche Brisanz. In Frankreich war der Roman ein Riesenerfolg, über eine halbe Million Mal wurde er bereits verkauft, und er war heisser Kandidat für den bedeutendsten französischen Buchpreis «Prix Goncourt».
Chaos und Gewalt
Besonders erhellend liest sich das Buch dort, wo «Der Magier im Kreml» zur Fortsetzung von da Empolis Sachbüchern über Macht und Propaganda wird. Der Autor beschreibt eine postmoderne Macht, die neben extremer Gewalt auch bewusst auf Chaos setzt. Propaganda bedeutet nicht nur, die Menschen etwas glauben zu machen. Es geht darum, zu suggerieren, dass alles wahr und unwahr sein könnte.
Im Roman benutzen Putins Strategen gezielt auch die sozialen Medien, um die offenen, demokratischen Gesellschaften zu schwächen. Je gespaltener und chaotischer diese sind, desto stärker entfaltet sich die Wirkung eines autoritären Modells à la Wladimir Putin. Erhellende Einsichten, um unsere mediale Gegenwart zu verstehen.