Sylvain Tesson ist als Schriftsteller kein Revolutionär, sondern ein Waldgänger – wie er von sich selbst sagt. Der 51-Jährige liebt es, in die Natur aufzubrechen und seine Beobachtungen, Empfindungen und Gedanken aufzuschreiben.
«Ich liebe die Vergangenheit mehr als die Zukunft. Ich liebe das, was bleibt, mehr als das, was sich verändert.» So portraitiert sich der französische Reiseschriftsteller Sylvain Tesson selbst. Was eher konservativ anmutet, wird ihm aus links-intellektuellen Kreisen tatsächlich zum Vorwurf gemacht.
Kontroverse um politische Einstellung
Auf die Ankündigung, dass Sylvain Tesson dieses Jahr die Schirmherrschaft des Literaturfestivals «Printemps des poètes» übernehmen werde, wurden Proteste laut. Mehr als 1200 französische Kulturschaffende unterschrieben einen offenen Brief, der in der linksliberalen Tageszeitung «Liberation» veröffentlicht wurde.
In dem offenen Brief wird dem Autor vorgeworfen, eine reaktionäre Symbolfigur, eine «icône réactionnaire», zu verkörpern und eine federführende Figur der literarischen Rechten zu sein. Zudem habe er ein Vorwort zu einer von Jean Raspail verfassten rassistischen Dystopie über die Immigration geschrieben.
Laut den Verfasserinnen und Verfassern des offenen Briefs banalisiere Tesson die extreme Rechte und befeuere sie dadurch. Die Kontroverse löste in den sozialen Medien heftige Reaktionen aus.
Sylvain Tesson erhielt aber auch grossen Zuspruch. So auch von der neuen französischen Kulturministerin Rachida Dati. Sie begrüsste die Wahl Tessons als «Parrain» der 25. Ausgabe des Literaturfestivals «Printemps des poètes».
Die Ruhe ist keine Entscheidung
Sylvain Tesson wird sich von dem Shitstorm bestimmt nicht aus der Ruhe bringen lassen. Im Gespräch seiner Pariser Wohnung erzählt der passionierte Schriftsteller und Bergsteiger, dass Ruhe für ihn keine Entscheidung sei.
Gerade in der Wand, auf dem Gletscher müsse man zwingend die Ruhe bewahren. Denn wenn man der Panik die Türe öffne, sei das, als ob der Sturm die Fenster weit aufreisse: Dann sei alles verloren.
Im November 2023 erschien die Übersetzung von Tessons Reisebericht «Weiss». Darin schildert er die Geschichte einer Alpenquerung: Eine 1600 Kilometer lange Winter-Expedition, die er in vier Etappen mit einem Freund durchgeführt hat.
Von Menton am Mittelmeer nach Triest, über Italien, die Schweiz, Österreich und Slowenien. Tesson beschreibt seine Erfahrungen als eine physische und spirituelle Reise – beim Lesen wirken die Beschreibungen meditativ.
Natur gegen die digitale Entfremdung
Die Anstrengung des Bergsteigens und die Monotonie und Weite der Berglandschaft lassen Sylvain Tesson zur Ruhe kommen. Nur der Moment zähle. Jeder Atemzug, in der klirrenden Kälte. Und das wiederum zwinge einen dazu, in sich selbst einzutauchen und mit viel mehr Klarheit, Einfachheit und Effizienz zu denken.
Doch leider stelle heute jeder einen Bildschirm zwischen sich und die Welt. Diese digitale Revolution sei für ihn ein Wahnsinn. Das Kernproblem des Menschen im Umgang mit der Umwelt liege in der Entfremdung.
Davon ist Tesson selbst weit entfernt. Sein Reisebericht «Weiss» spricht für sich. Doch nicht nur mit den Bergen ist er vertraut: In seinem in Frankreich bereits erschienenen Buch «Avec lés fées» begibt er sich auf eine Kulturreise entlang der Atlantikküste und knüpft sich die Elemente Wasser und Wind vor.