Die deutsche Autorin Ruth-Maria Thomas, 31 Jahre jung, ist Mitgründerin eines Magazins für erotische Literatur. Ausserdem hat sie mit «Die schönste Version» einen grandiosen Roman über das Erwachsenwerden einer jungen Frau verfasst. Darin beschreibt sie allerhand – schöne wie unschöne – sexuelle Erfahrungen ihrer Hauptfigur. Ruth-Maria Thomas hat ein Händchen für eindrucksvolle Sexszenen. Ein Gespräch darüber, worauf es beim Schreiben über Sex ankommt.
SRF: Gibt es irgendeine Sexszene in der Literatur, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ruth-Maria Thomas: Ja, sogar ein ganzes Buch voller Sexszenen. «Hautfreundin» von Doris Anselm. Dieser Roman war für mich eine richtige Entdeckung. Derart erotische Momente aus der Sicht einer Frau hatte ich noch nie gelesen. Davor kannte ich immer nur Andeutungen, aber sobald es richtig zur Sache ging, war Schluss mit der Szene. Doris Anselms Buch hat mir Mut gemacht, selbst über Sex zu schreiben.
Wenn Sie an einer Sexszene arbeiten: Worauf achten Sie da?
Ich versuche, nicht voyeuristisch, nicht von aussen darauf zu blicken, sondern mich in den Moment hineinzuversetzen, mich richtig einzufühlen.
Und was würde eine Sexszene peinlich machen?
Wenn man versucht, einen Porno nachzuschreiben. Oder wenn man zu verkrampft an die Sache herangeht, nach dem Motto: «Jetzt schreibe ich eine Sexszene, und die muss richtig geil werden.» Das geht schief.
Sex gehört zum Leben, ich schreibe ohne Tamtam darüber.
In meinem Roman beschreibe ich zum Beispiel auch, wie meine Hauptfigur isst, wie sie spazieren oder schwimmen geht, wie sich kaltes Wasser auf ihrer Haut anfühlt. Ganz normale Dinge eben. Genauso «normal» schreibe ich über Sex, weil er halt zum Leben dazugehört. Ohne Tamtam.
Sie verwenden eine ganz direkte, unverblümte Sprache …
Genau. Ich halte mich fern von Metaphern oder Umschreibungen.
Ich benenne die Körperteile, wie sie sind.
Ich vergleiche den weiblichen Körper auch nicht, wie es oft in der Literatur geschieht, mit Landschaften oder so. Stattdessen benenne ich die Körperteile, wie sie sind. Zu «Finger» sage ich ja auch «Finger». Genauso direkt schreibe ich eben «Vulva» und «Muschi» oder «Penis» und «Schwanz».
Wie merken Sie denn, ob Ihnen eine Szene gelungen ist?
Wenn ich hinterher beim Durchlesen nirgendwo zusammenzucke. Denke ich an einer Stelle «Um Himmels willen», dann muss ich nochmal ran.
Die weibliche Hauptfigur in Ihrem Roman hat nicht nur schöne sexuelle Erlebnisse, sondern auch grausame. Oft gibt es minimale Kipp-Momente: Anfangs hat sie Spass, aber plötzlich fühlt sie sich unwohl. Da beweisen Sie grosses psychologisches Gespür.
So viel Gespür brauchte ich da gar nicht. Ich habe einen Grossteil meiner Jugend am Telefon verbracht und mit meinen Freundinnen die verschiedensten Erlebnisse wieder und wieder durchgekaut. Was ich da alles gehört habe, gäbe noch Stoff für einige Bücher.
Noch zum Schluss: Wie geht es Ihnen eigentlich, wenn Sie Sexszenen vorlesen?
So cool und offen, wie ich beim Schreiben bin, bin ich beim Vorlesen leider nicht. Da werde ich rot, und die Scham steigt in mir hoch. Deshalb lasse ich solche Stellen bei Lesungen immer aus.
Das Gespräch führte Katja Schönherr.