Zum Inhalt springen

Sex in der Literatur Wie schreibt man über Sex, ohne dass es peinlich wird?

Die deutsche Autorin Ruth-Maria Thomas, 31 Jahre jung, ist Mitgründerin eines Magazins für erotische Literatur. Ausserdem hat sie mit «Die schönste Version» einen grandiosen Roman über das Erwachsenwerden einer jungen Frau verfasst. Darin beschreibt sie allerhand – schöne wie unschöne – sexuelle Erfahrungen ihrer Hauptfigur. Ruth-Maria Thomas hat ein Händchen für eindrucksvolle Sexszenen. Ein Gespräch darüber, worauf es beim Schreiben über Sex ankommt.

Ruth-Maria Thomas

Schriftstellerin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Ruth-Maria Thomas ist Jahrgang 1993 und stammt aus der ostdeutschen Stadt Cottbus. Bevor sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierte, war sie als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe tätig. Thomas ist Mitgründerin des erotischen Literaturmagazins «Hot Topic!». 2024 erschien ihr Debütroman «Die schönste Version». Er war unter anderem für den Deutschen Buchpreis nominiert.

SRF: Gibt es irgendeine Sexszene in der Literatur, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ruth-Maria Thomas: Ja, sogar ein ganzes Buch voller Sexszenen. «Hautfreundin» von Doris Anselm. Dieser Roman war für mich eine richtige Entdeckung. Derart erotische Momente aus der Sicht einer Frau hatte ich noch nie gelesen. Davor kannte ich immer nur Andeutungen, aber sobald es richtig zur Sache ging, war Schluss mit der Szene. Doris Anselms Buch hat mir Mut gemacht, selbst über Sex zu schreiben.

Wenn Sie an einer Sexszene arbeiten: Worauf achten Sie da?

Ich versuche, nicht voyeuristisch, nicht von aussen darauf zu blicken, sondern mich in den Moment hineinzuversetzen, mich richtig einzufühlen.

Und was würde eine Sexszene peinlich machen?

Wenn man versucht, einen Porno nachzuschreiben. Oder wenn man zu verkrampft an die Sache herangeht, nach dem Motto: «Jetzt schreibe ich eine Sexszene, und die muss richtig geil werden.» Das geht schief.

Sex gehört zum Leben, ich schreibe ohne Tamtam darüber.

In meinem Roman beschreibe ich zum Beispiel auch, wie meine Hauptfigur isst, wie sie spazieren oder schwimmen geht, wie sich kaltes Wasser auf ihrer Haut anfühlt. Ganz normale Dinge eben. Genauso «normal» schreibe ich über Sex, weil er halt zum Leben dazugehört. Ohne Tamtam.

Sie verwenden eine ganz direkte, unverblümte Sprache …

Genau. Ich halte mich fern von Metaphern oder Umschreibungen.

Ich benenne die Körperteile, wie sie sind.

Ich vergleiche den weiblichen Körper auch nicht, wie es oft in der Literatur geschieht, mit Landschaften oder so. Stattdessen benenne ich die Körperteile, wie sie sind. Zu «Finger» sage ich ja auch «Finger». Genauso direkt schreibe ich eben «Vulva» und «Muschi» oder «Penis» und «Schwanz».

Wie merken Sie denn, ob Ihnen eine Szene gelungen ist?

Wenn ich hinterher beim Durchlesen nirgendwo zusammenzucke. Denke ich an einer Stelle «Um Himmels willen», dann muss ich nochmal ran.

Zum Roman «Die schönste Version»

Box aufklappen Box zuklappen

Ruth-Maria Thomas hat mit «Die schönste Version» ein beeindruckendes Debüt geschrieben.

Im Roman geht es um Jella, eine Frau in ihren Zwanzigern, die gerade ihren Freund bei der Polizei angezeigt hat: Yannick, ihre grosse Liebe. Er hat sie im Streit gewürgt, ihr gedroht, sie umzubringen. Sie hat es gerade noch geschafft, zu entkommen. Nun liegt sie zu Hause in ihrem einstigen Kinderzimmer und lässt Revue passieren, wie es dazu kam: Beim Lesen erfährt man von ihrem Aufwachsen in einer ostdeutschen Kleinstadt, von ihren ersten sexuellen Erfahrungen (schönen wie schlimmen) – und davon, wie sie Yannick kennenlernt, sich verliebt und bald dazu übergeht, ihm, auch im Bett, immer alles recht machen zu wollen, damit er nicht ausrastet.

«Die schönste Version» ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Roman und Psycho-Thriller. Auf alle Fälle ein Buch, das man nicht mehr weglegt.

Ruth-Maria Thomas: «Die schönste Version». 272 Seiten. Rowohlt, 2024.

Die weibliche Hauptfigur in Ihrem Roman hat nicht nur schöne sexuelle Erlebnisse, sondern auch grausame. Oft gibt es minimale Kipp-Momente: Anfangs hat sie Spass, aber plötzlich fühlt sie sich unwohl. Da beweisen Sie grosses psychologisches Gespür.

So viel Gespür brauchte ich da gar nicht. Ich habe einen Grossteil meiner Jugend am Telefon verbracht und mit meinen Freundinnen die verschiedensten Erlebnisse wieder und wieder durchgekaut. Was ich da alles gehört habe, gäbe noch Stoff für einige Bücher.

Noch zum Schluss: Wie geht es Ihnen eigentlich, wenn Sie Sexszenen vorlesen?

So cool und offen, wie ich beim Schreiben bin, bin ich beim Vorlesen leider nicht. Da werde ich rot, und die Scham steigt in mir hoch. Deshalb lasse ich solche Stellen bei Lesungen immer aus.

Das Gespräch führte Katja Schönherr.

Wöchentlich frischer Lesestoff im Literatur-Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Der Literatur-Newsletter bietet die perfekte Inspiration für das nächste Buch. Ausserdem wird jede Woche eine Schweizer Schriftstellerin oder ein Schweizer Schriftsteller in den Fokus gerückt. Newsletter jetzt abonnieren.

Radio SRF 2 Kultur, Literaturclub: Zwei mit Buch, 13.1.25, 18:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel