5. Barbara Kingsolver: «Demon Copperhead» (18 Punkte)
«David Copperfield» ist Charles Dickens’ wohl berühmtester Roman. Darin erzählt er seine eigene Geschichte. Das ist die Schablone für «Demon Copperhead». Auch er wird früh mit dem Verlust der Eltern, mit Armut und Ausbeutung konfrontiert. Nur wächst er nicht im London des 19. Jahrhunderts auf, sondern im ländlichen Virginia in den 1990er- und 2000er-Jahren.
Barbara Kingsolver erzählt so erfrischend und berührend, dass ich Demon Copperhead sofort ins Herz geschlossen habe. Grandios.
4. Anne Weber: «Bannmeilen» (20 Punkte)
Die deutsche Autorin Anne Weber lebt zwar seit rund 40 Jahren in Paris – hat aber erst gerade neue Seiten der Stadt entdeckt. Weil im Sommer 2024 die Olympischen Spiele in Paris stattfinden, dreht ein guter Freund der Ich-Erzählerin einen Dokumentarfilm über die Veränderungen, die sich durch den Grossanlass in den Vororten anbahnen. Webers Protagonistin begleitet ihn auf seine Streifzüge in die berühmt, berüchtigte Banlieue.
Ein aufschlussreicher Reportage-Roman, der einem die Augen öffnet für ein anderes Paris, das auch mir bis dato fremd gewesen ist.
3. Percival Everett: «James» (21 Punkte)
Percival Everett erzählt Mark Twains Klassiker «Huckleberry Finn» neu – und zwar aus der Perspektive von Jim, dem Sklaven. Jim und Huck flüchten – Huck vor seinem gewalttätigen Vater, Jim, weil er verkauft werden soll. Sie erleben eine Odyssee auf einem Floss auf dem Mississippi. Eine Abenteuergeschichte, die scharfzüngig und humorvoll strukturellem Rassismus die Stirn bietet.
Mit ‹James› revidiert Percival Everett den amerikanischen Kanon auf subversive Weise und schafft dabei grossartige Literatur.
2. Iris Wolff: «Lichtungen» (31 Punkte)
Die Strassenmalerin Kato und ihr Reisegefährte Lev sind ein Liebespaar. Das war aber nicht immer so. Sie stammen zwar beide aus dem kommunistischen Rumänien, kommen aber aus komplett unterschiedlichen Welten. Iris Wolff erzählt von einer zerbrechlichen Liebe, die mit Diktatur, Revolution und Trennung konfrontiert ist. Ein nachdenkliches Buch über Freundschaft und Zugehörigkeit.
Vor dem Hintergrund politischer Umwälzungen in Osteuropa erzählt Iris Wolff von der Kraft fester Bindungen und der Erfahrung von Fremdheit in der Heimat
1. Gaea Schoeters: «Trophäe» (37 Punkte)
Hunter White geht auf Grosswildjagd nach einem der selten gewordenen Spitzmaulnashörner. Dafür hat er eine Lizenz zum Töten ersteigert. Was treibt ihn an? Die Suche nach dem Kick? Die flämische Autorin Gaea Schoeters beschreibt Jagdszenen mit einer Sprachgewalt, die einem die Nackenhaare aufstellt und beleuchtet kritisch die Folgen des Kolonialismus.
Ein Buch, welches leichtfüssig, wie eine Gazelle daherkommt und sich dann als Nashorn im Porzellanladen erweist. Kein Geschirr bleibt ganz. Moral und Ethik werden durcheinandergewirbelt, wie die Wäsche im Schleudergang. Eine Wucht.