5. Simone Lappert: «längst fällige verwilderung. gedichte und gespinste» (19 Punkte)
Der Titel ist Programm: Simone Lappert löst in ihrem Lyrikband die Grenzen auf zwischen Zivilisation und Wildnis – zwischen Mensch, Tier und Natur. Und auch die Grenzen der Sprache durchbricht die Autorin leichtfüssig. Ihre Texte erzählen von Aufbrüchen, Abschieden, Sehnsüchten, von der Liebe und der verletzlichen Gegenwart. Sie offenbart dabei viel Raffinesse und Witz – und ein tiefes Gespür für das Menschliche.
Simone Lapperts Texte sind kunstvoll gewoben und zart geflochten, doch stets in versonnenem ruhigem Ton: Ein längst fälliges Lyrikdebüt.
4. Rebekka Salm: «Die Dinge beim Namen» (21 Punkte)
1984 in einer Winternacht. Sandra, 16, wird vom gleichaltrigen Max vergewaltigt. Im 500-Seelen-Dorf hat jede und jeder eine eigene Version dieses sexuellen Übergriffs mit Kindsfolge im Kopf – auch 35 Jahre später. Der Vollenweider zum Beispiel hat damals aus der Ferne zugeschaut, ohne einzugreifen. Um sein Gewissen zu erleichtern, will er nun Sandras Geschichte veröffentlichen.
Das bringt Unruhe ins Dorf. Denn «manchmal war eine Geschichte komplexer als die Geschichten, die man sich darüber erzählte, es erahnen lassen würden». Rebekka Salm nennt die Dinge beim Namen. Ihr Debüt ist pointiert und von der ersten bis zur letzten Seite hochspannend.
Ein dörflicher Mikrokosmos, in dem sich die ganze grosse Welt spiegelt.
3. Rebecca Gisler: «Vom Onkel» (24 Punkte)
«Vom Onkel» ist der Debütroman der 31-jährigen Zürcher Autorin Rebecca Gisler. Er handelt von einer Nichte und einem Neffen, die mit ihrem Onkel in einer WG in der Bretagne leben. Die Nichte, aus deren Perspektive erzählt wird, beobachtet ihren Onkel unablässig. Und der ist ein Kauz, ein Eigenbrötler, ein Messie. Schnell spürt man, dass Onkel, Nichte und Neffe vor allem eines verbindet: das Aussenseitertum.
Ein schmales Buch über Menschen, die nirgends hineinpassen, in langen, schwebenden Sätzen erzählt.
Ein unkonventionelles Familienporträt voller Menschlichkeit, das einen eigenen, eindringlichen Ton findet.
2. Leta Semadeni: «Amur, grosser Fluss» (25 Punkte)
Leta Semadeni lässt mit poetischer Sprache wie ein Mosaik das Bild einer Liebesbeziehung entstehen: Olga, die bei ihren Grosseltern in einem abgelegenen Bergdorf aufgewachsen ist, verliebt sich in Radu, einen Naturfilmer, der immer unterwegs ist.
Die Beziehung der beiden ist geprägt von intensiven Momenten miteinander, aber auch von viel Abwesenheit und Sehnsucht in der Zeit dazwischen. Die Kapitel im Buch sind kurze Momentaufnahmen aus dieser Beziehung, die Leta Semadeni bildstark und mit viel Feingefühl komponiert hat.
Semadeni erzählt in leuchtenden Sprachbildern von einer grossen Liebe zwischen Nähe und Distanz, vom Ankommen und Abschiednehmen, von Fremdsein und Daheimsein.
1. Julia Weber: «Die Vermengung» (34 Punkte)
Die Autorin arbeitet an ihrem zweiten Roman, als sie mit ihrem zweiten Kind schwanger wird. Doch woher Kraft und Zeit nehmen für Kinder, das Schreiben, Freundschaft und Eigenleben? Um diese Fragen dreht sich Julia Webers sehr persönlicher Roman, der erlebbar macht, wie überfordernd eine solche Situation sein kann.
Gekonnt lässt die Autorin darin die Grenzen zwischen Lebensrealität und Fiktion zunehmend verschwimmen: Das Leben und die Kunst gehen nicht aneinander vorbei, sondern durcheinander hindurch.
Ein persönliches und berührendes Buch voller Poesie und Feinsinn, in das man sich gern verstricken lässt.