Ein Neueinsteiger, der direkt auf Platz 1 gelandet ist: Der Schweizer Autor Martin R. Dean führt mit seinem Roman «Tabak und Schokolade» diesen Monat die SRF-Bestenliste an. Hier sind die von der Jury gekürten Lese-Highlights im Countdown.
5. Alina Bronsky: «Pi mal Daumen» (15 Punkte)
«Pi mal Daumen» von der deutsch-russischen Autorin Alina Bronsky: Dieses Buch bietet beste Unterhaltung mit Tiefgang. Hauptfigur ist Oscar, ein hochbegabter Adelsjunge. Bereits 16-jährig studiert er Mathematik. Während einer Vorlesung lernt er Moni kennen: Sie ist um die 50, hat drei Enkel, mehrere Nebenjobs und liebt Outfits im Leopardenmuster. Sie ist fest entschlossen, sich den Traum von einem Mathematik-Studium jetzt noch zu erfüllen. Der adlige Schnösel und die hyperaktive Grossmutter: So unterschiedlich die beiden auch sind – Oscar und Moni freunden sich an und können bald nicht mehr ohne einander.
Amüsant, klug und auch für Mathe-Laien ein Genuss: Wer sich fragt, was er als Nächstes lesen könnte, greife bitte zu ‹Pi mal Daumen› von Alina Bronsky.
4. Alain Claude Sulzer: «Fast wie ein Bruder» (22 Punkte)
Im Ruhrgebiet wachsen sie auf wie Brüder. Doch anders als den Ich-Erzähler zieht es Frank hinaus in die Welt: Er will als Künstler leben und geht nach New York. Nach langer Zeit begegnen sich die Freunde an Franks Sterbebett zum letzten Mal. Und so landen die Bilder aus Franks Nachlass in der Remise des Erzählers. Jahrzehnte später entdeckt er die Bilder zufällig in einer Galerie. Rätselhaft, wie sie dort hingelangt sind. In seinem neuen Roman erkundet Alain Claude Sulzer existenzielle Fragen über Freundschaft und Abschied, über Homosexualität und Kunst.
Dieser Roman wirbelt auf, was die Gesellschaft seit Jahrzehnten zu verbergen versucht: die Angst, dass uns dereinst etwas offenbart, die Augen dort verschlossen zu haben, wo man hätte hinschauen sollen.
3. Zora del Buono: «Seinetwegen» (35 Punkte)
Zora del Buono war gerade einmal acht Monate alt, als ihr Vater bei einem Autounfall in der Ostschweiz ums Leben kam. Der tote Vater – er wurde zur Leerstelle in del Buonos Leben. Sie wuchs allein bei ihrer Mutter auf. Über den Unfall geredet wurde nie.
Jetzt, mit Anfang 60, überkam del Buono das Bedürfnis, den Verursacher finden, der damals mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf der Landstrasse unterwegs gewesen war. Wie hat er all die Jahre mit seiner Schuld gelebt? Was war er für ein Mensch? Diese Fragen hat sich del Buono gestellt und ihre Recherche schreibend begleitet.
Eine persönliche und bewegende Suche nach dem Unfallverursacher und ‹Mörder› ihres Vaters. Ein Buch über Schuld und Vergebung. Absolut lesenswert.
2. Mariann Bühler: «Verschiebung im Gestein» (40 Punkte)
Als Literaturvermittlerin ist Mariann Bühler bereits bekannt. Nun hat sie ihren ersten Roman vorgelegt. «Verschiebung im Gestein» erzählt von drei Figuren, die alle mit Veränderungen in ihren Leben konfrontiert sind: Todesfälle, Aufbrüche, Enttäuschungen. Was die drei ausserdem verbindet, ist ein entlegenes Bergtal – und dass sie wenig reden und sich lieber mit Nebensächlichkeiten abgeben, als sich ihren Schwierigkeiten zu stellen. Ein höchst gelungenes Debüt, das leise Töne anschlägt, es aber in sich hat.
Mariann Bühlers Debüt ist eine unkitschige Ode an die Langsamkeit auf dem Land.
1. Martin R. Dean: «Tabak und Schokolade» (51 Punkte)
Martin R. Dean erkundet in «Tabak und Schokolade» seine eigene geteilte Identität: Der Autor ist der Sohn einer weissen Schweizerin und eines Schwarzen aus Trinidad in der Karibik. Die Eltern trennten sich früh. Dean wuchs mit der Mutter im Aargau auf. Diese heiratete erneut. Fortan wurden Deans leiblicher Vater wie ganz generell die Jahre der Mutter bei den «unzivilisierten Wilden» tabuisiert. In seinem Buch schildere Martin R. Dean die Suche nach den Vorfahren seines Vaters. Eine Selbsterkundung, die bis hinein in die Schrecken der Kolonialzeit führt.
Feinsinnig und schlüssig verarbeitet der Autor seinen komplexen autobiografischen Hintergrund zu einem starken literarischen Text, zu einem dringlichen Stück Schweizer (Kolonial-)Geschichte.
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