Kehlmann stellt im Roman «Lichtspiel» G. W. Pabst als Nazi-Kollaborateur dar, dabei mischt er Fakten und Fiktion. Die Nachfahren von G. W. Pabst erfuhren aus der Presse vom Inhalt und sahen sich damit konfrontiert, dass «Lichtspiel» nicht als fiktiver Roman, sondern als Biografie mit Tatsachenanspruch gelesen wird.
Der jetzt vorliegende «einigende Abschluss ohne Rechtspflicht» besagt, dass der Rowohlt-Verlag ab der 4. Auflage einen Vermerk einfügt, dass es sich um Fiktion handelt, wie Marion Jaros Pabst, Enkelin von G. W. Pabst, gegenüber SRF erklärt.
«Schon die grundlegende Annahme ist falsch»
Martin Koerber, Filmhistoriker und ehemaliger Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek in Berlin, kennt sich mit der Faktenlage um Pabst bestens aus, da er über den Regisseur forschte und einige seiner Filme restaurierte.
Koerber findet schon eine grundlegende Annahme des Romans falsch: «Wenn Kehlmann schreibt, die Nazis hätten Pabst, der seit 1932 im Ausland arbeitete, angelockt, um in Deutschland wieder Filme zu drehen, dann ist das falsch.»
Eine Verkettung von unglücklichen Umständen habe dazu geführt, dass Pabst anlässlich eines Familienbesuchs 1939 bei Kriegsausbruch nicht mehr aus Deutschland, beziehungsweise aus dem «angeschlossenen» Österreich herausgekommen sei. Pabst wurde also nicht von den Nazis angelockt, wie Kehlmann schreibt.
Koerber hat in Kenntnis der Biografie von Pabst einen grundsätzlichen Einwand: Kehlmann habe einen Roman geschrieben über die Frage, wie ein halbwegs anständiger Mensch sich im Herrschaftsbereich der Nazis bewegen muss, wenn er überleben will. «Das ist eine wichtige Frage. Aber warum nennt er diese Figur Pabst? Alle denken jetzt, das wäre die Biografie von Pabst. So wird das Buch im Wesentlichen rezipiert. Das ist fatal.»
Nicht die ersten Einwände
Das Hamburger Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» monierte in einem Interview am 13.10.2023, dass Kehlmann Pabst angedichtet hat, 800 KZ-Häftlinge als Statisten eingesetzt zu haben, wofür es keinen Beweis gibt:
SPIEGEL: «Ist das fair gegenüber dem historischen G. W. Pabst?»
Kehlmann: «Nein. Aber ich schreibe ja keinen Roman, um fair zu sein.»
Koerber sagt, angesprochen auf dieses Spiegel-Zitat zum Thema Fairness: «Wenn ich eine reale Person zur Vorlage eines Romans nehme, muss ich als Autor fair sein. Anders muss das Buch scheitern, und es ist in diesem Fall leider gescheitert. Das merkt bloss keiner, der sich mit Pabst nicht auskennt. Das ist das Perfide daran.»
Für Koerber ist eine Grenze erreicht. Insofern sei für ihn mehr als nachvollziehbar, dass sich die Nachfahren gewehrt hätten, denn es bleibe nie nur etwas hängen, sondern alles.