Ohne Wissen und Wagemut kein Fortschritt: Gerade die Medizin weiss um dieses fragile Wechselspiel. Plötzlich glückt ein Eingriff, der bis gestern als zu gefährlich galt, und schon morgen kann er Schule machen. Viel Chronologie, kein Anspruch auf Vollständigkeit: Hier sind 10 Transplantationen, die Geschichte schrieben.
1. Haut hin
Ein Stück Haut aus der Stirn schneiden und daraus eine neue Nase formen? Klingt komplex, war für die besten altindischen Heiler aber ein Klacks. Auf das Jahr 400 v. Chr. datieren Medizinhistoriker solche «rekonstruktiven Eingriffe», die als erste Transplantationen durchgehen.
So ein «Nosejob» hatte durchaus handfeste Gründe: Nach dem Recht jener Zeit wurden Verbrechern oder Ehebrechern zur Strafe die Nase amputiert. Ein Eingriff konnte eine Verurteilung vielleicht nicht ungeschehen, aber ungesehen machen.
Ähnliche Operationen kannte man auch in Ägypten, wie Mumien mit angenähten Ohren vermuten lassen. Über einen sizilianischen Wundarzt fand die «indische Methode» den Weg nach Europa – und wir schreiben erst das Jahr 1250.
2. Nächster Halt: Hals
Mit dem Schweizer Theodor Kocher bricht das Zeitalter der modernen Transplantationschirurgie an. 1883 war ihm die Pioniertat geglückt, einem Patienten Schilddrüsengewebe unter die Haut des Halses einzusetzen.
Es soll damals nicht nur in Kochers Heimatstadt Leute gegeben haben, die den Bartträger aus Bern hinter vorgehaltener Hand als Grossmaul bezeichneten. Aber Kocher, ein Pionier in ganz verschiedenen Bereichen der Medizin, war fraglos ein Grossmeister seines Fachs. 1909 gewann er für seinen Forschungsbeitrag zur Manipulation der Schilddrüse den Nobelpreis – als erster Chirurg überhaupt.
3. Auf den Hund gekommen
Die Niere, die der Österreicher Emerich Ullmann 1902 einem Hund in den Nacken pflanzte, gilt als erste erfolgreiche Transplantation dieses Organs. Es ist heute das mit Abstand am meisten transplantierte.
Kleines Detail: Ullmann stiess den mit der Niere verbundenen Harnleiter durch das Fell des Vierbeiners, um die Produktion des Harns bequemer beobachten zu können. Nach genau fünf Tagen musste er festhalten: Das war es dann.
Fast 30 Jahre sollte es dauern, bis in Kiew erstmals die Niere eines frisch Verstorbenen einer Empfängerin eingesetzt wurde. Mit mässigem Erfolg: Die Frau lebte nach dem Eingriff eines Dr. Yuriy Yurievich Voronoy nur noch genau vier Tage. Ihre neue Niere war zu keinem Augenblick funktionsfähig.
4. Zwilling hoch zwei
Wie Kollege Ullmann in Wien hatte Joseph E. Murray in Boston lange mit Hundenieren experimentiert, bis er 1954 Richard Herrick die Niere seines eineiigen Zwillingsbruders Ronald einsetzte. Ein schlauer Schachzug: Denn die genetische Gleichheit verhinderte ein Abstossen des Organs. Unumstritten war das nicht: Es war noch die Zeit, da die Transplantation von Organen in den Augen vieler «Wider die Natur» geschah.
Trotzdem: Fünf Jahre später doppelte Murray nach, diesmal mit zweieiigen Zwillingen. «Nierentransplantationen wirken heute so normal», liess sich Murray später in der «New York Times» zitieren, «die erste war wie Lindberghs Flug über den Ozean». 1962 erfolgte die erste erfolgreiche Transplantation auch bei genetisch nicht verwandten Patienten.
5. Ein Rekord für die Ewigkeit
Erst 24 war Walter Thalmann, als er am 5. April 1968 den Operationssaal des Basler Bürgerspitals mit einer Spenderniere verliess. Sein Arzt hatte ihn vermutlich nicht mit der Prognose entlassen, sie würde 53 Jahre später immer noch tadellos ihren Dienst tun. Es war erst die neunte Nierentransplantation, die man in Basel vornahm.
Walter Thalmann selbst zeigte sich zum 50-Jahr-Jubiläum immer noch etwas überrascht, «wie schnell das Ganze damals ging». Nur eine Frau lebt länger mit derselben Spenderniere als Thalmann. Sie wurde drei Monate vor ihm in New York transplantiert.
6. Die Leber der anderen
1963 war er gescheitert. 1967 aber gelang Thomas Earl Starzl die erste Lebertransplantation. Starzl, der ursprünglich Priester werden wollte und erst nach der tödlich verlaufenen Brustkrebserkrankung seiner Mutter die Berufspläne änderte, gehört auch zu den Vorreitern im Forschungsfeld der Immunsuppressiva – Substanzen also, welche die Funktionen des Immunsystems vermindern.
Auf Starzls Arbeiten, so steht es im Nachruf eines Ärzteblattes, gehen «die heute in der Transplantationsmedizin etablierte Anwendung der Substanzen Ciclosporin, Tacrolimus und Sirolimus zurück».
Noch eine Zahl für die Ewigkeit, die Starzls Status untermalen: 1999 war der Spross einer deutsch-irischen Familie der meistzitierte Mensch in medizinischen Publikationen.
7. Hart an der Herzgrenze
Als «neuen Frankenstein» soll Christiaan Barnard sich einmal bezeichnet haben. Dem Kardiologen aus Kapstadt gelang am 3. Dezember 1967 das Kunststück, einem lebenden Menschen ein fremdes Herz einzusetzen, ohne dass es auf der Stelle zu schlagen aufhörte.
Englands Revolverpresse feierte das Ereignis martialisch als «Atombombe der Medizin». Barnard wurde zum Gott seiner Gilde und strafte damit einen Kollegen Lügen, der ein gutes Jahrhundert zuvor prophezeit hatte: «Der Chirurg, der jemals versuchen würde, eine Wunde des Herzens zu nähen, kann sicher sein, dass er die Achtung seiner Kollegen für immer verlöre.»
Auch Christiaan Barnards Patient, ein in Litauen geborener Gemüsehändler, schaffte es auf die Titelseiten der Tagespresse. 18 Tage später war er tot. Er erlag einer Lungenentzündung, die zu lange unentdeckt geblieben war.
8. Nicht Schlag auf Schlag
Christiaan Barnard und sein Herz mögen 1967 in aller Munde gewesen sein. Die Geschichte der Kardiotransplantation indes verlief in der Folge eher harzig. Das lag in erster Linie daran, dass die Medizin jener Zeit eines Hauptproblems der Transplantation nicht Herr wurde. Die eingesetzten Herzen wurden von ihren neuen Besitzern als Fremdkörper abgestossen.
Es dauerte bis in die frühen 1980er-Jahre, bis die richtigen Immunsuppressiva gefunden waren, die solche Abstossungsreaktionen abschwächten. Heute gilt nicht das Chirurgische, Logistische oder Pharmazeutische als Haupthindernis einer Herzverpflanzung. Grösste Herausforderung ist es, ein Spenderherz zu finden. Die meisten Patientinnen und Patienten sterben, während sie auf der Warteliste stehen.
9. Hand anlegen – und Schulter
Es gehe ihm nicht um Ruhm und Ehre, versicherte Jean-Michel Dubernard, nachdem der Urologe nach einer kombinierten Nieren-Bauchspeicheldrüsen-Transplantation im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gestanden war. Es war noch so ein medienwirksames erstes Mal in der Medizingeschichte. Nicht wenige rümpften aber die Nase: Der Name Dubernard stand schon länger im Verdacht der Geltungssucht.
Viel Applaus gab es schon 1998, als der Franzose mit der weltweit ersten Handtransplantation aufhorchen liess. Spätestens 2000 sicherte sich Dubernard einen Ehrenplatz in den Lehrbüchern, als er mit einem Landwirt in Lyon zu einer Pressekonferenz lud, dem er gleich beide Unterarme transplantiert hatte.
Das war noch nicht alles: Noch mit fast 80 Jahren sorgte der Chirurg mit einer beidseitigen Armtransplantation für Aufregung. Sie umfasste auch die Schultern.
10. Kleiner Mann, was tun?
Als Easton Sinnamon im Frühling des vergangenen Jahres in Asheboro, North Carolina das Licht der Welt erblickte, waren seine Überlebenschancen klein. Zu schwach schien sein kleines Herz, und es sah danach aus, als wäre Easton ohne Immunsystem geboren worden.
Aber an der Duke University rieten die Ärztinnen und Ärzte Eastons Eltern zu zwei Operationen, die grosse Risiken bargen: einer Doppeltransplantation von Herz und Thymusdrüse, die Produktionsstätte der Immunzellen.
Die Überlegung: Stammten Thymusgewebe und Herz vom gleichen Spender, würde Eastons Immunsystem das Herz nicht als Fremdkörperteile abstossen. Mittlerweile liegen die Eingriffe ein paar Monate zurück. Dem Kind, so versichern Ärzte und Familie, gehe es den Umständen entsprechend gut.