Züri West reitet auf einer Erfolgswelle. Das neue Album «Loch dür Zyt» ging weg wie warme Weggli. Dass die Band nicht mehr live spielt, wird mit viel Bedauern zur Kenntnis genommen.
Der Grund: Vor zwei Jahren legte Kuno Lauener offen, dass er an Multipler Sklerose leidet – an Bühnenauftritte ist nicht mehr zu denken.
Ist das der Grund für den aktuellen Erfolg? Ein vielleicht letztes Album oder Mitleid für den Frontsänger Kuno Lauener? Zum Glück nicht. Zentral für die aussergewöhnliche Bandgeschichte von Züri West sind auch die Texte. Hätten diese nicht schon längst einen Literaturpreis verdient?
Gute Hits brauchen gute Texte
Die Frage treibt mich um und ich trage sie zur Literaturredaktion von SRF Kultur. Markus Gasser erinnert sich gut, wie das «gelbe Album» 1994 eingeschlagen hat: «Ich war damals 28, an Partys haben die Leute ‹Ich schänke dr mis Härz› im Chor gesungen. Wir haben uns gegenseitig damit überboten, wer den Text zuerst auswendig kann.»
Das sind Geschichten aus dem Leben, die wir alle kennen. Aber nicht so gut erzählen können.
Sind auch weniger berühmte Texte so gut? Ich lege Markus Gasser einen Text vor, den er weniger gut kennt, vom Album «Radio zum Glück». Im Cover «Obsi nidsi» wird lange suggeriert, dass der Erzähler wegen einer neuen Geliebten nicht mehr zum Schlafen komme.
Man denkt: Aha, Sex ohne Ende. Darum geht es schliesslich auch im Original «Upside Down», gesungen von Diana Ross. «Obsi, nidsi, uu du träisch mi» und «Sit i si kenne chum i nümm zum Penne».
Dann aber die Ernüchterung: «Es fäut weder a mim Wiue / no bruuchen‘i irgend so‘ne Piue» – es geht also nicht um Sex: «Mis Baby schnarchet wie ne Helikopter». Die neue Freundin schnarcht so laut, dass sie ihrem Partner im Bett den Schlaf raubt.
Songtexte sind sein Steckenpferd
Das typische Mittel der überraschenden Wende komme bei Kuno Lauener oft vor, meint Markus Gasser. Im Lied «1968» wird zum Beispiel ein geplanter Überfall zweier Banditen geschildert, die sich dann überraschend als zwei Primarschüler im Spiel entpuppen.
Oder der Erzähler in «Friitig», der einen Song lang schildert, wie er von seiner Angebeteten versetzt wird. Bis er am Schluss realisiert, dass er sich im Tag getäuscht hat – «Shit – hütt isch gar nid Fritig».
Musik gewordene Kurzgeschichten
Die literarische Qualität steckt im Aufbau der Texte, die wie Kurzgeschichten daherkommen. Aber auch im Kleinen findet man literarische Stilmittel ohne Ende: Gekonnte Metaphern, Binnenreime und viele Elemente, die zu guten Spoken-Word-Texten gehören.
Dank der grossen Beobachtungsgabe von Kuno Lauener überzeugt immer wieder die Nähe der Texte zu unserer Erlebniswelt. «Das sind Geschichten aus dem Leben, die wir alle irgendwie kennen. Aber nicht so gut erzählen können», sagt Markus Gasser.
Lauener bleibe nicht in der Innenwelt eines Erzählers stecken. Er erzählt Geschichten, an die viele anknüpfen können.
Kuno Lauener hat den Literaturpreis nicht nötig
Sollte Kuno Lauener demnächst einen Literaturpreis erhalten? Gar den Literatur-Nobelpreis wie Bob Dylan? Markus Gasser winkt ab: Zum einen habe Lauener nicht den gleich langen Atem wie Dylan, allein was die Länger der Texte und die Textmenge angeht.
Ausserdem sei es umstritten gewesen, ob ein Musiker einen Literaturpreis bekommen sollte. Genau diese Argumente würden bei Züri West noch stärker gelten: Der Moment, in dem Text, Bandsound und Performance zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen, werde von einem Literaturpreis überhaupt nicht erfasst.