Vor 50 Jahren legte ein junger DJ in New York den Grundstein für einen Musikstil, der ab den 1980er-Jahren die Welt erobert: Hip-Hop. Das Schweizer Rap-Urgestein E.K.R. und die Rapperin SGB erzählen, warum man heute im Rap nur noch Pizzen nach Standard-Rezept backt und wie er hilft, Grenzen zu testen.
SRF: Was macht Old-School-Hip-Hop mit euch?
SGB: Ich höre ihn immer noch gern. Er entspannt mich. Du hockst hin, relaxt mit deinen Homies, rauchst eine Zigi. Den neueren Hip-Hop sehe ich eher als Party-Hip-Hop. Ich versuche, beide Welten mitzuverfolgen.
E.K.R.: Old School höre ich vor allem noch, wenn ich auflege. Da kommen gute Erinnerungen hoch. Zu Hause läuft bei mir selten Run DMC oder Kurtis Blow. Klar war's grossartig, aber ich finde, es gibt keine Zukunft in der Vergangenheit. Für mich, der es miterlebt hat, ist Old School aber vielleicht auch was anderes als für die jüngere Generation.
SGB: Für mich ist Old School eher Wu-Tang oder N.W.A., obwohl das eigentlich neuer ist. Aber die ganze Geschichte und die Einflüsse habe ich immer im Hinterkopf.
Inspiriert euch Old School für eure aktuelle Musik?
SGB: Ich lasse mich in Sachen Storytelling oder Beats inspirieren, vor allem wenn es Richtung Boom Bap geht. Aber ich übernehme nicht den Flow von anderen.
E.K.R.: Bewusst übernehme ich nichts von damals. Nur vielleicht die Unschuld, das Verspielte, Kreative. Das ist für mich einer der grössten Unterschiede: Heute ist vieles generisch, alle wollen ähnliche Flows, die gleiche Anzahl Beats. Man hat eine Liste und hakt die Punkte ab, wie wenn man eine Standard-Pizza backt. Früher hatten alle die Ambition, eine völlig neue Pizza zu backen. Abkupfern war ein No-Go. Heute ist es okay, wenn jeder zweite wie Drake tönt. Oder es ist besser – erfolgreicher.
Man sollte den Jungen keine Lebensphilosophie den Rachen runterwürgen, die sagt, dass man nur mit Knarre und Drogen durchs Leben kommt.
SGB: Es ist heute schwierig, was Neues zu kreieren. Das Problem fängt damit an, wenn jemand krampfhaft kopiert, ohne die Basis von Hip-Hop zu verstehen. Grundsätzlich fühle ich mich frei, zu machen, was ich will, aber der Unterschied ist, ob es dann Erfolg hat oder nicht.
E.K.R.: Sehr individuelle Künstler kommen gar nicht an den Punkt, an dem wir sie weltweit hören, weil grosse Label den Output kontrollieren. Mit den Streaming-Diensten – ich nenne sie «asoziale Medien» – entscheiden Algorithmen, was ein tolles Lied ist. Du kannst den Song so bauen, dass er reinpasst. Das ist nicht mehr Hip-Hop!
Was ist Hip-Hop dann?
E.K.R.: Hip-Hop wurde genau als Gegenbewegung zum Kommerz kreiert, um den Jungen was zu geben, womit sie sich entfalten können, als Ventil für Aggression, Trauer, Einsamkeit.
SGB: Hip-Hop war ursprünglich ein Ort, wo man sich trifft, eine Subkultur, wo man sich Zeit nahm, um zusammenzukommen. Ich hole mir zwar auch Inspiration über Youtube-Playlists, aber am liebsten gehe ich an Festivals oder Konzerte, gehe mit dem, was meine Homies fühlen und picke mir raus, was für mich passt.
Ich bin bereit für Kompromisse, wünschte mir aber manchmal, dass ich nicht aufs Maul sitzen muss.
E.K.R.: Genau. Hip-Hop wurde nicht kreiert, damit Modelabels Trillionen von Dollar damit verdienen. Und sicher nicht, damit das Knastsystem in den USA gefüllt wird mit jungen Schwarzen, die reinfallen auf den Bullshit, der von grossen Labels gepusht wird. Man sollte den Jungen keine Lebensphilosophie den Rachen runterwürgen, die sagt, dass man nur mit Knarre und Drogen durchs Leben kommt.
Ist Rap für euch auch ein Testfeld, um die eigenen Grenzen auszuloten?
SGB: Ich bin eine sehr offensive, temperamentvolle Person und habe manchmal auch mit Aggressionen keine Limits, darauf bin ich nicht stolz. In meinen Rap lasse ich viele meiner Emotionen fliessen, dort filtere ich sie aber und spiele gleichzeitig mit den Grenzen. Wann kommt jemand und sagt; «He Alter, das geht gar nicht»?
E.K.R.: Heute ist man sich bewusster, was man rausträgt. Mein Song «Oh Susi» war zu seiner Zeit schon ziemlich daneben, aber er hat funktioniert und war lustig gemeint, ohne mich da jetzt rausreden zu wollen. Heute würde ich ihn aber nicht mehr so schreiben – und auch nicht o. k. finden, wenn ein Mädchen auf dem Schulhof weint deswegen.
SGB: Manchmal finde ich aber, es gibt zu viele Triggerwarnungen. Bei SRF Cypher zum Beispiel, da schauen alle zu, man muss allen entgegenkommen. Aber ich gehe ja auch nicht an ein Punkkonzert und finde «das geht gar nicht!» Ich bin bereit für Kompromisse, wünschte mir aber manchmal, dass das Raue Platz haben darf, dass ich nicht aufs Maul sitzen muss.
Ich wünsche mir, dass mutige Jungs und Mädels den Hip-Hop vorantreiben und er nicht nur ein Musikprodukt ist.
E.K.R: Es ist ein Unterschied, ob nur meine zehn bescheuerten Kollegen meinen Rap hören oder ob ich ihn aus der Box lasse. Plötzlich feiern dich Zwölfjährige ab und sagen, «cool, im Rap geht’s drum, Frauen runterzumachen, lass uns das auch tun!» Ich will nicht der sein, der sie zu so was inspiriert. Ich will sie zum Denken anregen. Aber ich finde auch, man soll nicht alles schönreden. Rap soll auch schockieren und unterhalten. Manchmal muss man einem Arschloch auch sagen, dass er eins ist, sonst kommt man ja nirgendwo hin. (lacht)
Was wünscht ihr euch für die nächsten 50 Jahre Hip-Hop?
SGB: Dass ihn mutige Jungs und Mädels vorantreiben. Dass er nicht nur ein Musikprodukt ist, sondern wir immer Peergroups haben, die auch die ganze Mentalität und Kultur dahinter mittragen: Das Zusammensein mit deinen Homies, dass du gemeinsam Musik hörst, freestylst, über Probleme redest, die dich vielleicht zum Hip-Hop gebracht haben und dazu stehst.
EKR: Da kann ich mich nur anschliessen. Ich glaube, Hip-Hop als Kultur wird das tragende Ding bleiben, auch in 50 Jahren. Ich will ja nicht nur schwarzmalen. Klar, im Mainstream sind wir immer etwa eins, aber Hip-Hop ist auch heute noch vielschichtig. Es gibt wieder blühende Graffiti- und Breakdance-Szenen mit extrem talentierten Künstlern, die wahnsinnig geiles Zeug machen.
Das Gespräch führte Patricia Banzer.