Der Bond-Song ist die Königsdisziplin des Pop. Es ist eine besondere Ehre, ihn schreiben und performen zu dürfen. Gleichzeitig ist es eine schwierige Aufgabe, den Spagat zwischen Tradition und Zeitgeist zu meistern.
Die Messlatte für den Bond-Song wurde bereits mit der allerersten instrumentalen Nummer enorm hochgelegt. Als am 5. Oktober 1962 im Londoner Kino Palladium das Licht ausging und das James-Bond-Theme erklang, war dem Publikum sofort klar: Was hier nun folgt, ist aufregend, spannend, gefährlich – und irgendwie auch sexy.
1960er: Pompös und fulminant
Die 1960er-Jahre sind die Bond-Dekade schlechthin: Ganze sechs Abenteuer mit 007 werden produziert. 1964 singt Shirley Bassey für Bonds drittes Abenteuer den Titelsong ein, der bis heute als Mutter aller Bond Songs gilt: «Goldfinger».
Die Mischung aus Jazz, Orchester und Pop vermittelt eine Atmosphäre von Masslosigkeit – und das passt perfekt zum Schurken Goldfinger (Gert Fröbe), der nichts anders als Gold im Sinn hat.
Den Schlusston hält die fulminante Shirley Bassey so lange, bis ihr ganz schummrig vor Augen wird – das wird sie zumindest später erzählen.
Arien mit Ohrwurmpotential
«Goldfinger» nimmt die grössenwahnsinnige Grundstimmung des Filmes vorweg. Genau das müsse ein guter Bond-Song tun, erklärt der amerikanische Autor Jon Burlingame, der das Buch «The Music of James Bond» geschrieben hat.
Ausserdem müsse der Song Ohrwurmpotential haben und von einem aktuellen Musikstar eingesungen werden. Denn Bond-Songs sind immer auch Werbung für den Film. Deswegen muss 1967 die Soul-Legende Aretha Franklin einer jungen Amerikanerin namens Nancy Sinatra den Vortritt lassen.
Letztere hat gerade mit «These Boots Are Made For Walkin'» einen Hit gelandet. Vor lauter Nervosität soll Sinatra 25 Anläufe gebraucht haben, bis «You Only Live Twice» im Kasten war.
1970er: Disco und Männlichkeit
Bond-Songs spiegeln immer auch den herrschenden Zeitgeist wider. So thematisiert Lulu 1974 in «The Man with a Golden Gun» Themen wie Macht und Maskulinität. Auch «Live And Let Die» passt in die 70er – teilweise zumindest.
Der Song aus der Feder von Paul McCartney und dessen damaliger Frau Linda wirkt, als ob die ganze Palette an musikalischen Ausdrucksformen in einen Topf geworfen und einmal kräftig durchgerührt wurde: ein bisschen Beatles, ein bisschen Orchester-Bombast, ein bisschen Ballade, ein bisschen Reggae und ein bisschen Rock. Für die einen ist «Live And Let Die» ein Meisterwerk, für die anderen ein Flickwerk.
1980er: Synthiepop und MTV
1981 läuft in Amerika MTV an und wird zum Medium der Jugend. Bond hingegen ist zu diesem Zeitpunkt bereits etwas in die Jahre gekommen. Als 1985 «A View to a Kill» erscheint, ist Hauptdarsteller Roger Moor bereits 58. «Bond brauchte eine Verjüngungskur, nicht nur auf der Leinwand, sondern auch musikalisch», sagt Musikjournalist Jon Burlingame.
Also versucht das Produzenten-Team die MTV-Generation ins Boot zu holen, indem es die damals populärste MTV-Band den Bond-Song performen lässt: Duran Duran.
Diese landen mit «A View to a Kill» auf Platz 1 der US-amerikanischen Charts. Bis heute sind sie die einzigen Bond-Song-Interpreten, denen das gelungen ist.
1990er: U2 und Tina Turner
1995 tritt zum ersten Mal Pierce Brosnan in «GoldenEye» als James Bond in Erscheinung. Auch hinter den Kulissen hat es einen Wechsel gegeben: Barbara Broccoli tritt in die Fussstapfen ihres Vaters und übernimmt die Produktion der Bond-Reihe.
Für den Titelsong verpflichtet sie zwei Schwergewichte aus der Welt des Pop und Rocks: Bono & The Edge von U2. Als Interpretin für ihren Song haben die zwei Tina Turner im Visier. Doch die will anfänglich nicht.
Das Demo, das ihr Bono geschickt habe, sei von lausiger Qualität gewesen, wird Turner später erzählen. Erst als sich Bono mit handgeschriebenem Brief entschuldigt, willigt sie doch noch ein. Aus der Zusammenarbeit entsteht «GoldenEye».
2000er: Elektro und Rock
Sheryl Crows «Tomorrow Never Dies» (1997) und «The World Is Not Enough» (1999) von Garbage entpuppen sich als Flops. Nun musste endlich wieder ein Bond-Hit her: Madonna sollte es richten.
Diese lieferte 2002 mit «Die Another Day» eine stampfende Elektro-Nummer, an der sich bis heute die Geister scheiden. «Die Another Day» wurde gleichzeitig als bester Song für den Golden Globe und als schlechtester Song für die Goldene Himbeere nominiert.
Weil in den 2000ern die Rockmusik eine Art Revival erlebt, folgt auf Madonna Chris Cornell, der Frontmann von Soundgarden und Audioslave. Sein Song «You Know My Name» (2006) ist kaum in Erinnerung geblieben: zu viel Rock, zu wenig «Bondness».
Ähnlich ergeht es Alicia Keys & Jack White, die bis heute mit «Another Way to Die» das einzige Bond-Duett lieferten. Eigentlich wäre für diese Nummer Amy Winehouse vorgesehen gewesen, doch diese war aufgrund ihrer Suchtkrankheit unpässlich.
Heute: Bombast und Verletzlichkeit
2012 schaffte es Adele als erste Künstlerin überhaupt, einen Oscar für einen Bond-Song einzuheimsen. Ihre Bombast-Ballade lässt alten Bond-Glamour anklingen und stürmt rund um die Welt die Charts.
Zuletzt lieferte die erst 21-jährige Billie Eillish den wahrscheinlich traurigsten Bond-Song aller Zeiten. «No Time to Die» ist eine düstere, melancholische Nummer, die vorwegnimmt, dass es mit 007 nicht gut ausgehen wird.
So wie sich die Figur Bond vom chauvinistischen Superspion zu einem vielschichtigen Charakter entwickelt hat, hat sich auch der Soundtrack verändert. Eilishs Stimme klingt fragil und verletzlich.
Dennoch ist «No Time to Die» auch sehr deutlich ein Bond-Song: In Eilishs Rücken sitzt ein 30-köpfiges Orchester, das Geigen- und Bläserpathos beisteuert.
Und morgen?
Wer für den nächsten Bond-Song auserwählt wird, steht derzeit noch in den Sternen. Zuerst müsse die Grundstimmung des Films klar sein. Dafür brauche es ein Skript, einen Regisseur und vor allem: einen neuen Bond-Darsteller, sagt Jon Burlingame.
Bis dahin wird wohl noch viel Wodka-Martini die Themse hinunterfliessen.